Marktplatz der Möglichkeiten

Ausgerechnet das Medium Radio als Mittel und Ort eines offenen Nachdenkens über die Zukunft von Gesellschaft, das erscheint einigermaßen absurd, wenn wir an die existierende Radiolandschaft denken. Jenseits von Konsumentenbespaßung und Belehrung gibt es für eine Art gesellschaftlichen Diskurs wenig Raum. Der wäre ja unberechenbar und spröde, emotional und manchmal schwer erträglich: alles Attribute, welche für Programmdirektoren und -Radioberater nur in Albträumen mit Radio zu verbinden sind.

Wer Ende September oder in der ersten Oktoberhälfte über Halles Marktplatz lief, konnte Zeuge und bei Interesse auch TeilnehmerIn eines Versuches zu werden, Radiokommunikation und öffentliche Debatte zu verbinden. Während des Festivals RadioREVOLTEN installierte Radio CORAX gleich neben dem Roten Turm einen zum Studio umfunktionierten Bauwagen, gesendet wurde vom Roten Turm. Gleich auf der anderen Seite der Straßenbahnschienen arbeitete wiederum die CORAX-Tagesredaktion live und open air, insgesamt etwa 40 Morgen- oder Mittagsmagazine und manchmal ganze Sendetage wurden vom Marktplatz aus gestaltet. Gesendet wurde zum einen auf einer eigenen UKW-Frequenz für Halles Innenstadt vom Roten Turm, zum anderen wurden die meisten Sendungen via ISDN zum CORAX-Studio in den Unterberg übertragen und auch auf der CORAX-Frequenz 95.9 MHz ausgestrahlt.

Radio auf dem Markt – das verändert die Situation der Radioarbeit. Radio als Abspielmaschine für produzierte Inhalte musikalischer oder auch wortredaktioneller Art braucht keinen öffentlichen Raum. Umgekehrt bedeutet Radio im öffentlichen Raum Transparenz und Interventionsmöglichkeiten: Der Markt als zentraler Platz kann wieder als Ort gesellschaftlichen Austauschs in Besitz genommen werden. Radio CORAX auf dem Markt – das hieß im September und Oktober vor allem auch, GesprächspartnerInnen und ihre Themen in das medial inszenierte Gespräch einzubeziehen, die nicht ohnehin überall in den Medien präsent sind: SeniorInnen, Bürgerinitiativen, MigrantInnen, Kinder beispielsweise. Das gelang mal mehr und mal weniger erfolgreich, immer abhängig davon, wie sehr sich die Redakteurinnen und Redakteure einerseits und die PassantInnen andererseits auf die zweifach öffentliche Situation wirklich einließen. Ein „Marktplatz der Möglichkeiten“ entstand allemal. Und bei allen Beteiligten der Wunsch nach einer Neuauflage, vielleicht auch als Teil des regulären Programmbetriebs bei Radio CORAX.

Das Projekt „Marktplatz der Möglichkeiten“ wurde realisiert mit Unterstützung der Stiftung Aktion Mensch (Programm dieGesellschafter – http://diegesellschafter.de).