Aus der aktuellen CX-Zeitung: Das neue Alte des Umweltaktivismus

Zirkelschluss und Teufelskreis:
Erdenrettung mittels ungebrochener Ideale von Politik und Wirtschaft?
Umweltproteste sind keine Erfindung des neuen Jahrtausends, nichts Originäres der Millennials. Schon in der industriellen Frühphase monierte man die massive Vernutzung und Ruinierung von Wasser, Luft und Land. Sogar die Umweltprotestbewegung der 1980er ist uns insofern noch gegenwärtig, als sich dessen parlamentarische Fraktion in der Parteienlandschaft verstetigte.

Die neuen Proteste sind in dem Sinn Oldies der Diagnose: dass Kapitalismus aus sich heraus nur eine Affinität zur Natur kennt (den Mensch als deren Teil nicht ausnehmend), nämlich als auszubeutende Ressource für den privaten Eigentumszuwachs. Maßlos, überall; maßvoll, nirgends. Was ’Ressource‘ in die verwertende Richtung, buchstabiert sich in die andere der Entwertung als Ausbeutung, Verschleiß und Verschmutzung. Nirgends ein Bodenschatz, wo nicht Wälder abgeholzt, Landschaften aufgerissen, wo mit Quecksilber ausgeschwemmt oder gefrackt, wo last not least nicht Menschen un- und mittelbar ruiniert werden usw. Dazu die toxischen Innovationen, deren Abschaffung nur deswegen mühselig ist, weil sich darin ein wirtschaftliches Interesse des Standorts oder der Produzenten knüpft/e: FCKW und Antibiotikahuhn, DDT und Glyphosat, To-go-Becher und Einwegverpackungen, Benziner und AKWs usf.

Die aktuellen Proteste sind nun insofern neu, als dass sie sich spiegelbildlich zur Diagnose radikalisieren: So wie der Grad der Verschmutzung und Erschöpfung der Umwelt eine neue, die Gattung Mensch existenziell bedrohende Qualität erreicht, desto breiter und vehementer formieren sich die Kritiker:innen. Das passiert im kapitalstarken Westen bzw. globalen Norden auch medial wahrnehmbar, insofern dessen Einwohner:innen sich mit den beängstigenden Resultaten der ruinierten Umwelt konfrontiert sehen und die Öffentlichkeit in ihren Debatten vor sich her treiben. Die gleiche Angst um die Lebenswelt der (auch indigenen) Bevölkerungen des globalen Südens – eine Welt, die mancherorts seit Jahrzehnten durch Agrar-, Rohstoff- und Müllindustrie verseucht, die agrarische Reproduktion riesiger Bevölkerungsteile wegen des Klimawandels prekär bis unmöglich geworden ist und teils schon in kriegsähnlichen Konfrontationen auch über Flussläufe und -wasser befindend – hat bisher diese mediale öffentliche Aufmerksamkeit nicht bekommen. Das ist auch eine beredte Auskunft über die Globalisierung: der Westen gibt mit seiner Definition von Bedrohung und Umwelt den globalen Takt vor, ob, wann und wie die Menschenumwelt gerettet gehört. Und jetzt sei es an der Zeit. Es folgten Proteste von riesigen Ausmaßen. Millionen Schüler:innen tauschen Schulbank mit Straße (freitags), alle Medien-Ressorts berichten, die Protestierenden scheuen (wenn auch eher symbolisch) weder den Wert der Kunst noch der freien Mobilität (beflecken das eine, stauen das andere) Schließlich wird das Thema wahlrelevant … und hat sich derweil nicht nur zum polit-moralischen Standpunkt, sondern auch zum selbstgefälligen Lifestyle und zur ertragreichen Innovation für Markt und Markenbranding gemausert.

Angesichts der aktuellen Klimadiagnose erscheinen die Aktivist:innen von WWF und Greenpeace biografisch, inhaltlich und politisch als gestrig und werden in jeder Hinsicht generationell aufgemischt. Die Protestierenden organisieren sich zu international (also westlich) vernetzten Initiativen wie Fridays For Future, Last Generation und Extinction Rebellion. (1) Nicht nur rhetorisch ist deren Ausruf, es komme auf ihre Generation an, den Politik- bzw. Wirtschaftswechsel herbeizuführen, um die Erde für sie und Nachkommende als lebenswerte zu retten. Heutiger Umweltaktivismus ist qualitativ anders aufgestellt als jener um den Schutz einzelner bedrohter Savannenbewohner, Meeressäuger und Gräser, nun ist er existentiell. Wissenschaftler:innen haben das tiefschwarze Bedrohungsszenario als plausibel und höchstwahrscheinlich errechnet. Worüber sie noch streiten, sind die Geschwindigkeiten irreversibler Prozesse und das notwendige Maß von Veränderung. Auf jeden Fall sind die wenigen kommenden Jahre, wenn die Kipppunkte nicht eh schon überschritten sein sollten, entscheidend.

Dieses enge Zeitfenster treibt die Proteste an … im Umfang, in der Dichte, in ihren Formen und Rhetoriken: für die „future“ schlechthin bzw. gegen die kaum endzeitlicher klingende „extinction“, mit dramatischen Aktionen gegen den „fossilen Alltag“ und mit höchstmoralischer Berufung auf sich als „Jugend“ inkl. Attacken gegen Mitmenschen, Regierungen und Wirtschaft. Auch wenn der Gestus rebellisch, die Formen des Protests ungleich üblicher Pluralitätsbekundungen der Straße, die Angriffe auf die politischen und wirtschaftlichen Selbstverständlichkeiten gröber und lauter – was fordern die Kritiker:innen nun konkret ein, was sie selbst, so ihr Ausgangspunkt, nicht in der Hand haben und was weder aus Autobahn-Blockaden noch Gemälde-Angriffen zu lesen ist?

Anders als die konsumkritischen Kolleg:innen, die allein die Mitmenschen für ihren ressourcenfressenden Privatverbrauch bzw. ihre ebensolche Produktion angehen, adressieren die Klimaaktivist:innen – in ihren Selbstdarstellungen online – sofort die höchste Instanz, die Politik. Diese soll mittels diverser Aktionen zum Handeln genötigt werden: internationale Klimavereinbarungen einhalten, den fossilen Ausstieg vollbringen, eine den Klimaschutz fördernde Gesetzgebung durchsetzen. Aus dieser Adresse spricht das Wissen der Protestierenden, wonach nicht sie, aber die Politik das für diese Verhältnisse allein maßgebende Subjekt ist – Verhältnisse, die die Politik als ökonomische Konkurrenz durchsetzt und sich als einzig zuständige Instanz für dieses widersprüchliche gesellschaftliche Interesse nimmt. Indem sie die einzelnen konkurrierenden Interessen als legitim setzt und in ihren Friktionen und Kollisionen betreut, manifestiert sie diese sogar. Insofern kündet die Adresse der Aktivist:innen von einem nüchternen Realismus, von ihrer eigenen praktischen Ohnmacht als Vertreter:innen eben nur eines Interesses unter vielen, denen hierzulande auch ihr Recht gegeben wird. Jedoch zeugt die Art und Weise ihrer Adresse auch von ungebrochenem Idealismus. Sie nehmen die offenkundig längst überfälligen Aktionen der Politik zum Anlass, statt mit ihr zu brechen, ihr dies als ihren eigentlichen Auftrag entgegenzuhalten: Die Politik „tut nach wie vor ›ihren‹ Job nicht“, sie „versteckt sich“, beweise keinen „ehrlichen Umgang“, sage nicht „the truth“ usw. Weshalb aus dem, was die Politik tut, nicht entnehmen, wofür man sie (nicht) in Anspruch nehmen kann; weshalb hält man ihr, was sie offenkundig nicht tut, zu gute?

Hinter das geschätzte Moment des Gemeinschaftlichen – ungeklärt das Was und Wie der darin betätigten Interessen – gehen die Proteste nicht zurück. Neben dem Lapsus, die Politik anzugreifen und ihr zugleich „hohen Respekt vor ihren Anstrengungen“ zu zollen, erheben die Aktivist:innen die unbedingte Gemeinschaft zum Grundsatz. Jede*r werde, wenn sich diesem Grundsatz beugend, in der Protestbewegung oder in den ’Visionen‘ einer ’anderen Welt‘ eingeschlossen: „Alle sind willkommen – so wie sie sind“. So nehmen die Protestierenden alle Interessen als berechtigt und ihre klimaschöne Vereinbarkeit als möglich. Was ihnen umgekehrt – neben ruiniertem Klima – als Dystopie aufscheint und sie als schlagendstes Argument der zögerlichen Politik entgegenhalten, ist die Gefährdung genau dieses Gemeinschaftlichen. Diese würde mit dem Klima untergehen, ein „Wanken unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung“.
Diese gemeinschaftliche Moral erscheint als der analytische Horizont ihrer ökonomischen Kritik. Das „toxische System“ erklären sie sich aus den bzw. allein wegen der schädlichen Effekte auf die Lebensbedingungen der Menschheit. Und diese Effekte müssten nur eingehegt, den Dimensionen der kleinen Erde angepasst werden. Die Kritik bspw. am „rücksichtslosen Konsum“, „zunehmenden Ressourcenverbrauch“ und „Wachstum“ versieht das ökonomisch Selbe, immer noch als Grund für die Effekte in der Welt lassend, lediglich mit einem Weniger: ’rücksichtsvoller Konsum‘, ’angemessener Ressourcenverbrauch‘, „degrowth“. Insofern erscheint die ökonomische Kritik als Kritik derer, die sich in dieser maßlos umtun, also sich von Gier, Egoismus, Raubtier-Psyche usw. auf ’gesunden‘ Gemeinsinn usw. eichen müssten.
Auch deswegen bedanken sich Politiker:innen fast aller Couleur für die Attacken der Aktivist:innen auf sie. Denn immer noch beweisen sich diese als verantwortungsbewusste Mitbürger:innen. Immer noch rufen sie die Politik als zuständig an und bekunden keinem existierenden ökonomischen Interesse generelle Feindschaft – dieser verständigen Kritik können sich die Politiker:innen ganz easy annehmen. Haben sich die aktivistischen Einwände in den Schwanz gebissen?

(1) Alle Zitate von: extinctionrebellion.de, fridaysforfuture.de, letztegeneration.de und
klimaschutzistkeinverbrechen.com.

In unregelmäßigen Abständen veröffentlchen wir einzelne Artikel aus unserer zweimonatlich erscheinenden Publikation als Debattenbeiträge. Der Text von Steffen findet sich neben weiteren Texten zum Umweltaktivismus in der Februar/März-Ausgabe der CX-Zeitung.