Die Rolle des Mannes als „Vater“ wird gegenwärtig neu verhandelt. Insbesondere im Kontext
von Sexualität, Partnerschaft und Familie. Ein neuer Heldenmythos ist gleich parat. Der Vater
geht in Elternzeit. Der Vater unterbricht seine Arbeit und holt das Kind von der Schule, wenn es
krank ist. Der Vater geht mit seiner Tochter zum Ballett und flechtet ihr mühevoll die Haare,
was er vorher akribisch aus Videotutorials gelernt hat.
Das Stück „Für Papa“ der jungen Dramatikerin Anna Melissa Zentgraf hält sich jedoch nicht an
dieser Oberfläche auf, sondern fragt tiefer und aus einer autobiografischen Perspektive nach
den sozialen Entstehungsbedingungen dieser „Vaterfigur“, die wir als Übervater geradezu
zwanghaft (re)konstruieren und als Held jeder Geschichte imaginieren. Dieser Zugriff gelingt
ihr durch das Abseitsstellen eines aktiv handelnden Subjekts, den Ausfall der Moralisierung
von Schuld und Täterschaft, gerade durch die Abwesenheit des Vaters. Denn von hier aus wird
die Frage plötzlich virulent, wie es eigentlich kommt, dass unser Vater uns so wirksam und
(über)mächtig bestimmen kann, wenn er gar nicht anwesend ist, die soziale Interaktion mit ihm
ausfällt, er keinen Resonanzraum zur Verfügung stellt. Offen zu Tage tritt dabei all die Gewalt
und der Zwang, mit denen Rollenzuschreibungen Individuen zurichten und normieren. „Für
Papa“ ist deshalb keine Anklage, keine Abrechnung, sondern der Versuch einer
ernstgemeinten Antwort, ohne Anspruch auf Lösung, Versöhnung oder Klärung. Der Text folgt
auf jeweils subjektiver Basis den Konfliktlinien einer Personenkonstellation aus vermeintlichen
und tatsächlichen Opfern & Tätern, An- und Abwesenden. Die Autorin verhandelt schonungslos
abgründige Gedanken, die sich auf einem schmalen Grad zwischen Verständlichkeit und
surrealer Bildgewalt bewegen.
Regisseurin Marina Erler nähert sich dem Stück mit ihrer Inszenierung vor dem Hintergrund
religiöser und wissenschaftlicher Rituale und Praktiken: Heirat, Beerdigung, Taufe, Autopsie,
Anamnese … Dabei immer im Fokus: Der Schmutz, der unter den Teppich gekehrt wurde. Die
Bühne fungiert als Kirchenschiff, OP-Raum und Schlachthaus. Und dieses Schlachthaus ist die
Gebärmutter. Denn auch niemand entkommt der vermeintlich abwesenden Mutter! Der Mix aus
kaltem Stahl und modrig feuchtwarmen Gore bildet eine Heterotopie. Von oben tropft es, denn
2023 können alle squirten. Wie wir dort gelandet sind und warum, spielt am Ende keine Rolle.
Wie wir da rauskommen, darauf kommt es an!
Weitere Aufführungen: 11.02.2023 um 20 Uhr im Ost-Passage Theater (Konradstr. 27)
18.02.2023 um 20 Uhr im Ost-Passage Theater (Konradstr. 27)
10.03.2023 um 20 Uhr im Ost-Passage Theater (Konradstr. 27)
11.03.2023 um 20 Uhr im Ost-Passage Theater (Konradstr. 27)
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Dauer: ca. 120 Minuten mit Pause
Inhaltswarnung: Der Text thematisiert sexuelle Gewaltfantasien, emotionalen
Missbrauch und explizite Suizidgedanken.
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Eintritt: 9,- Euro voll bzw. 6,- Euro ermäßigt (Förderpreis: 12,- Euro)
Kartenreservierung: karten@ost-passage-theater.de