Dieses Szenario jedenfalls scheint am ökonomischen Horizont der sog. Theater, Oper und Orchester GmbH als kulturelle Nachtvision.
Radio Corax ruft Sie auf, diesem Ansatz zu widersprechen:
OFFENER BRIEF an die Kultusministerin Frau Prof. Dr. Birgitta Wolff in Sachsen-Anhalt
Mit dem Beschluss des Aufsichtsrates der Theater, Oper und Orchester GmbH vom 8. Oktober 2010 gipfelt das Fusionsergebnis der einzelnen Kultureinrichtungen in völlige Konzeptlosigkeit, nämlich in die Schließung des Thalia Theaters: das einzige Kinder- und Jugendtheater in Sachsen-Anhalt.
Die jetzt vorgeschobenen Tariferhöhungen und die damit verbundenen Aufwüchse bei den Personalkosten waren mindesten seit Ende 2008 bekannt. Die absichtliche Verschleppung dieser Problematik ist eine nicht von der Hand zu weisende Ursache für die aktuelle Situation.
Mit Beschluss des Stadtrates zur Überführung der städtischen Kultureinrichtung in die „Theater, Oper und Orchester GmbH“ vom November 2008 wurde der Geschäftsführer beauftragt dem Aufsichtsrat einen entsprechenden Vorschlag zur Erreichung des zum Jahr 2011 festgelegten Personalbestand vorzulegen, der im Übrigen durch sozialverträgliche Maßnahmen erreicht werden soll und den nicht künstlerischen Bereich betrifft. Solch ein Konzept wurde dem Aufsichtsrat nicht vorgelegt. Am 30.12.2008 gab es ein durch das Verwaltungsgericht einberufenes Treffen, da die Überführung der städtischen Kultureinrichtung Thalia Theater Halle der Zustimmung des Personalrates bedurfte. Der Personalrat hat der Überführung unter folgenden Bedingungen zugestimmt:
„(…) 2. Um den zum Jahr 2011 festgelegten Personalbestand im nichtkünstlerischen Bereich nach Möglichkeiten sozialverträglich ohne betriebsbedingte Kündigungen zu erreichen, wird die Stadt Halle als Gesellschafterin die Arbeitgeberin (GmbH) auffordern, nach folgenden Maßnahmen zu ergreifen:
a) Eine freiwillige Teilzeitoffensive entsprechend der Verfahrensweise der Initiative der Stadt Halle nach folgendem Grundsatz: die Arbeitgeberin wird abteilungsweise die benötigten Kapazitäten errechnen und die Arbeitnehmer auffordern, Teilzeitangebote abzugeben. Anschließend wird die Arbeitgeberin unter Beteiligung des Betriebsrates prüfen und feststellen, ob eine ausreichende Anzahl von Teilzeitangeboten der Arbeitnehmer vorliegt, um die einzusparende Arbeitszeitkapazität zu erreichen.
b) Die Arbeitgeberin verpflichtet sich, zur Vermeidung gegebenenfalls konkret anstehender betriebsbedingter Kündigungen zu prüfen, ob geeignete freie Stellen für die konkret von einer möglichen Kündigung betroffenen Arbeitnehmer im Bereich der Stadtverwaltung und der städtischen Gesellschaften vorhanden sind und wird diese etwaige Stellen nach Möglichkeit mit diesen konkret betroffenen Mitarbeitern besetzen.
c) Die Stadt Halle wird Mitarbeitern der GmbH bei externen Stellenausschreibungen bevorzugt berücksichtigen.“ (Auszug aus dem Protokoll der Einigungsstelle im Thalia Theater Halle am 30.12.2008 betreffend Überführung der Einrichtungen in die „Theater, Oper und Orchester GmbH Halle“).
Die vereinbarten Maßnahmen wurden nicht umgesetzt.
Die Tatsachen, dass ein Konzept zur nachhaltigen Senkung der Personalkosten seitens der Geschäftsführung bis heute nicht vorgelegt wurde und die absichtliche Verschleppung der Erarbeitung von Lösungsansätzen zu den Tariferhöhungen, sind zwei ausschlaggebende Ursachen, die letztlich zur Idee der Schließung des Thalia Theaters führten.
Begründung: Im Eilverfahren setzte der Geschäftsführer der Kultur GmbH Rolf Stiska in Abstimmung mit der Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados eine Aufsichtsratssitzung an. Das Argument des Geschäftsführers: Insolvenz des Unternehmens oder Aufgabe der Sparte Kinder- und Jugendtheater Thalia. Ob der Aufsichtsrat einen solchen Beschluss fassen darf, ist dahingestellt und sollte schnell rechtlich abgeprüft werden. So heißt es nämlich im Gesellschaftervertrag der Theater, Oper und Orchester GmbH unter §7
„Die Gesellschafterversammlung entscheidet unter Beachtung dieses Gesellschaftsvertrages der Maßgaben insbesondere über alle Maßnahmen der Geschäftsführung die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen.“
und weiter unter § 8
„Der Geschäftsführer Bedarf für folgende Geschäfte der Einwilligung der Gesellschafterversammlung: a) die Aufnahme oder Aufgabe von Geschäftszweigen innerhalb des vertragsgemäßen Unternehmensgegenstandes“.
Laut Stadtratsbeschluss besteht die Theater, Oper und Orchester GmbH aus folgenden Bereichen: zentraler Bereich, Sparte Staatskapelle, Sparte Oper, Sparte Kulturinsel und Sparte Thalia Theater – zusammengefasst Mehrspartenhaus. Die Aufgabe einer Sparte ist gleichzusetzen mit Geschäftszweig.
Des Weiteren heißt es im Ausgliederungsvertrag, der auch Teil des Beschlusses des Stadtrates zur Überführung der städtischen Kultureinrichtungen in die „Theater, Oper und Orchester GmbH Halle“ ist unter Punkt III Betriebsfortführung und Rückübertragungsverpflichtung:
„Die Theater, Oper und Orchester GmbH Halle verpflichtet sich gegenüber der Stadt Halle (Saale), den Betrieb, inkl. der damit in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Nebenleistungen, der kommunalen Eigenbetriebe Kulturinsel, Thalia Theater sowie der Regiebetriebe Oper und Staatskapelle nach erfolgter Ausgliederung fortzuführen. Die beiden Vertragspartner sind sich darüber einig, dass bei einer davon abweichenden Nutzung bzw. Schließung von Einrichtungen, die entsprechenden Grundstücke an die Stadt Halle (Saale) zurück zu übertragen sind. Die temporäre oder endgültige Schließung bzw. Einschränkung der Betriebe durch die Theater, Oper und Orchester GmbH Halle ist jeweils mit der Stadt Halle (Saale) abzustimmen.“
Tatsache ist, dass die Theater, Oper und Orchester GmbH weder die Zustimmung der Gesellschafterversammlung hat noch sich mit der Stadt Halle (Saale) abgestimmt hat.
Die Oberbürgermeisterin ist ihrer Funktion als Vertreterin der Gesellschafterin Stadt Halle (Saale) nicht nachgekommen.
Die Besucherzahlen sind die Grundlage von Wirtschaftsplänen und Fördervolumen. Die Erfassung der Besucherzahlen in der Theater, Oper und Orchester GmbH ist nicht transparent. So liegen die unterschiedlichsten Zahlen vor. Für die Sparte Thalia Theater gibt es bisher noch keine abschließenden Besucherstatistiken für die Spielzeit 2009/10.
Wir fordern eine offene und gerechte Debatte!
Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados macht sich unglaubwürdig: zum einen ruft sie den Aufsichtsrat zusammen, um die Schließung der Sparte Kinder- und Jugendtheater zu beschließen und zum anderen setzt sie anschließend auf einen Haustarifvertrag. Weiterhin missachtet sie offenbar Verträge und vermeidet damit absichtlich eine offene Debatte, die jedoch zwingend erforderlich ist. Dabei sollten folgende Fragen diskutiert werden: wie sieht ein alternatives Sparkonzept mit dem Ziel alle Sparten zu erhalten aus? Wie reagiert das Land Sachsen-Anhalt als Fördermittelgeber auf die Schließung einer Sparte? Die Kultur GmbH hatte unter anderem den Auftrag Kooperationen mit dem Umland anzustreben, um weitere Gesellschafter zu gewinnen. Was wurde diesbezüglich unternommen? Wurde die Beteiligung des Landes Sachsen-Anhalts diskutiert?
Wir fordern die rechtliche Prüfung des Beschlusses des Aufsichtsrates zur Schließung der Sparte Kinder- und Jugendtheater!
Wir fordern die Offenlegung der Besucherzahlen nach Sparten!
Ein Hoffnungsschimmer bleibt: der Stadtrat muss in einer der nächsten Sitzung die Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados legitimieren dem nunmehr geänderten Wirtschaftsplan abzusegnen. Möglicherweise kann es spätestens dann zu einer politischen Debatte kommen.
ERSTUNTERZEICHNER
Kathrin Westphal, Dr. Inés Brock, Dr. Regine Schöps, Sabine Wolff, Gundula Schatz, Birgit Rufer, Harald Höbinger, Matthias Hlady, Imke Hlady, Ismael Wolff, André Scherer, Cornelia Ohlendorf, Kai Hengst, Matthias Westphal, Andreas Arndt, Anett Krause, Jörg Drefs, Steffen Hendel, Jeanette Reinisch, Christina Papst, Enrico Petters, Frank Schilcher, Axel Gärtner, Florian Schmiemann, Jörg Kunze, Karl-Ernst Müller, Andreas Pietrek, Louise Nowitzki, Katja Töpfer, Markus Dietrich, Matthias Baumgarten, Wolfgang Burkart, Matthias Golinski
Im Namen aller Unterzeichner.
Halle (Saale), 13.10.2010 (aktiv bis 12.01.2011)