Landes- wie Stadtpolitik, rechter Hinz und linker Kunz wissen schon längst: Ein kollektives Selbst möchte vorzugsweise über lokale Geschichte und dessen Vergegenwärtigung in Orten gestiftet und gepflegt werden. Denkorte, Geburtshäuser, Denkmäler, Haustafeln, Platzund Straßennamen gepaart mit Begehungen und Führungen, Gedenktagen, Kranzniederlegungen bis zu Umbenennungen usw. usf. Und jeder weiß auch wie selbstverständlich, dass diese alltäglich gehandhabte deswegen auch eine umkämpfte Praxis ist. Was man sich als Identität gibt, soll sich auch mitteilen: Abderhaldenstraße hin oder her? Amostraße … vielleicht, vielleicht Amopark? Womöglich ein Luckner Denkmal? Statt sowjetisches Krupskaja- besser doch ein aufgeklärtes Christian-Wolff-Gymnasium. Auf jeden Fall Genscherplatz und auf jeden Fall Genschergymnasium! Bräuchte es diese Orte zur Erinnerung für eine Bevölkerung, wenn diese ihr Zusammenleben eh schon so verstünde? Ist nicht vielmehr genau das Gegenteil unterstellt und zwar eine Bevölkerung, die, weil sie nichts Gemeinsames mitbringt, ideell um eine Identität ringt und sich diese in den städtischen Orten vorspiegelt?! Und was spiegelt sie sich vor, wer also bestimmt womit diese Identität? In dieser vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft ist es eine lächerliche wie anrüchige politische Praxis, die (deswegen?) nicht aufstößt, weil sie durchgesetzt ist. Als skandalös wird sie höchstens im Moment aufgeworfener Alternativen und Ergänzungen wahrgenommen. Dass eine Straße einen guten Namen haben muss oder man in der Stadt auf diese quasi familiären ›Töchter und Söhne‹ stolz ist und ihnen Denkmäler errichten und ihnen in Gehwegen Bronzeplaketten widmen ›muss‹, gilt als das Selbstverständlichste.
Dem will diese Programmzeitung ihr kleines Gewicht entgegenhalten. Mit zweierlei: Erstens will sie dem öffentlichen Straßenbild und Bewusstsein Halles Berichte von Orten entgegenstellen, die ein anderes Bild dieser Stadtgeschichte und des Seins und Waltens der Bevölkerung vermitteln. Damit wollen wir zweitens keine Alternativen oder Ergänzungen zu der existierenden Gedenklandschaft vorschlagen. Vielmehr wollen wir auf das Verfahren kritisch zurückspiegeln: Statt sich mittels Erinnerungspolitik eine Identität zu zaubern, braucht es vielleicht die Frage, was denn ›unser‹ Zusammenleben bestimmt – wenn die Geschichte an den halleschen Orten, von denen wir nur beispielsweise erzählen, zwar möglich war und ist, aber bisher keinen Eingang in das ideelle Selbst fanden. Spricht das Nichtwahrnehmen paradoxerweise nicht eher für die Kontinuität dessen, was sich historisch darin niederschlug, für ein Fortdauern, auf die eine oder andere, verflochtene wie erschreckende Weise?
Wir wünschen wie immer eine erkenntnisreiche Lektüre in diesem Heft, welches auch wieder mit dem aktuellen Corax-Radio-Programm, Mitmach- und Veranstaltungstipps bestückt ist.
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Die CX-Zeitung gedruckt
Die Programmzeitung von Radio CORAX gibt es auch gedruckt zum Lesen. Sie liegt aus u.a. in der Uni, in geöffneten Kinos, Bars und Cafés in Halle:
Sie liegt auch in Leipzig und Magdeburg aus:
Leipzig:
- Buchhandlung Drift
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- Conne Island
Magdeburg:
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- Offener Kanal Magdeburg
- Feuerwache