„Radio Activists – offen, unabhängig und frei? Freie Radios als öffentliche Räume in Deutschland, Österreich, Ungarn und Südamerika“ hieß eine Aktionstagung, die Radio CORAX in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung vom 19. bis 21. September 2019 in Halle ausrichtete.
„Freie Radios“ – auch als Community Media bekannt – sind eine Form zivilgesellschaftlicher Medien, die unabhängig, nicht-kommerziell und selbstorganisiert arbeiten. Gemeinsam ist ihnen ein gesellschaftskritischer Ansatz, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf emanzipatorischem und kritischem Journalismus und dem Zugang für Subkulturen und gesellschaftlich marginalisierten Gruppen liegt. Der Tendenz einer zunehmend entfremdeten, gewinnorientierten und entsolidarisierten Medienlandschaft setzen Freie Radios sowohl physische als auch virtuelle Räume der Begegnung entgegen, in denen nicht nur mediale Kompetenzen vermittelt werden, sondern in denen Menschen unabhängig von Herkunft, Status oder Einkommen durch gemeinschaftliches Handeln grundlegende demokratische Werte erlernen und Zugang zur Öffentlichkeit erlangen können. Freie Radios agieren in diesem Sinne mit dem emanzipatorischen Anspruch, gesellschaftliche Gleichheit und individuelle Freiheit zu fördern.
Unsere Aktionstagung ging – OnAir und in Halle vor Ort – der historischen Entwicklung der Freien Radioszene in der BRD und der ehemaligen DDR nach. Sie diskutierte die Herausforderungen, unter denen Freie Radios international, europäisch und auch im bundesrepublikanischen Kontext unter den Bedingungen des europäischen Rechtsrucks und der zunehmenden Polarisierung politischer Auseinandersetzungen gegenwärtig agieren. Denn der Erfolg rechter Strömungen setzt freie Radioprojekte als offene Räume der Inklusion und Selbstermächtigung überall dort unter Druck, wo autoritäre Gesellschaftsprojekte die Demokratie an sich unter Druck setzen – und das nicht nur international, sondern auch in Europa. Deshalb lohnt ein vergleichender Blick auf die Situation Freier Radios besonders in den Regionen, in denen die Zivilgesellschaft und der freie Zugang zur Öffentlichkeit in Gefahr sind. Zudem fragten wir Radio-Aktivist*innen nach dem bundesrepublikanischen Zugang zu Radio-Öffentlichkeit, loten das Verhältnis von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit aus und stellen Radio-Praxen von (Gegen)Öffentlichkeit vor.
Do, 19.9, 18 Uhr, Kino Zazie
Wir bitten nicht länger um Erlaubnis
Film und Diskussion
Am Bodensee ertönte „Radio Wellenbrecher“, in Offenburg „Radio Paranoia“, in Regensburg „Radio Freie Schnauze“, in Hamburg „Radio Hafenstraße“, in Köln „Radio Wahnsinn“ und in Göttingen „Radio Pflasterstein“. Auch in der BRD entstanden Ende der 70er Jahre illegale Piratensender, die selten länger als 30 Minuten pro Aktion und aus Protest gegen Umweltzerstörung, Atomkraftwerke oder Wohnraumnot via UKW agitieren. Sie wurden von Polizei und Bundespost verfolgt. Fünf Jahre Haft war die Höchststrafe. Einige Richter und Staatsanwälte stellten gar das Hören der Sender unter Strafe. Es kam zu Dutzenden Verurteilungen. Razzien und Repression waren beispielsweise in Freiburg (Radio Dreyeckland) an der Tagesordnung. Darüber berichtete der Film „Wir bitten nicht länger um Erlaubnis„. Im Anschluss diskutierten Jan Bönkost und Heide Platen. Zudem kam Dirk Teschner zu Wort. Teschner – der Ende der 80er Jahre in Karl-Marx-Stadt Aufnahmen eines illegalen Berliner Piratenradios verbreitete – wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Fr 20.9. 7-19 Uhr OnAir
Gespräche und Hintergründe zur Geschichte und Situation Freier Radios weltweit
Fr 20.9, 10:30 Uhr, Radio Corax
vernetzendes Redaktionsfrühstück zum Thema: Freies Radio und politischer Rechtsruck – Zur Situation in Sachsen
anschließend OnAir: Diskussion mit Teilnehmer*innen zum Thema
Fr 20.9, 19 Uhr, Wuk Theater Quartier,
Unter Druck – Freie Radios in Ungarn und Österreich
Eine kritische mediale Öffentlichkeit existiert im von Orban regierten Ungarn kaum noch: Die seit 2010 geltenden Mediengesetze schränken die Medienvielfalt drastisch ein. Viele Zeitung und Radios wurden geschlossen. Die wenigen noch existierenden freien Radios Ungarns, haben Wege gefunden der Repression zu entgehen und befinden sich in einer bizarren Situation: Ihre Arbeit hat neue Bedeutung gewonnen, die Hörer und Hörerinnenzahlen steigen. Es zeigt sich: Wo keine unabhängige Medienlandschaft mehr existiert, wird die Arbeit des freien Radios umso wichtiger. Wir sprachen mit Akos Cserhati von Civil Radio in Budapest – das freie Radio sendet seit 24 Jahren.
Zudem war Martin Wassermair zu Gast, der bei zwei Projekten aktiv ist, die seit Jahren von der österreichischen FPÖ angefeindet und bekämpft werden: Radio FRO und Dorf TV aus Linz.
Michael Nicolai, Präsident der europäischen Sektion des Weltverbandes der Freien Radios, gab einen Überblick über den Kampf autoritärer Gesellschaftsprojekte gegen Freie Radios.
Sa, 21.09. WUK Theater Quartier
Vom Anfangen und Weitermachen
Gespräch mit:
Stefan Tenner (Freies Radio Neumünster)
Susan Goldammer (Radio F.R.E.I., Erfurt und Vorstand BFR)
Katja Röckel (Radio Blau, Leipzig)
Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit – Perspektiven und Aufgaben
Gespräch mit:
Torsten Liesegang (u.a. Autor des Buches „Öffentlichkeit und öffentliche Meinung: Theorien von Kant bis Marx (1780-1850)“)
Jakob Hayner (Journalist und freier Autor)
Vom Anspruch zur Praxis – Beispiele aus Rostock, Erfurt und Freiburg
Gespräch mit:
Vertreter*in des Projekts “Radio Utopia” (Radio Lohro, Rostock)
Vertreter*in des radioübergreifenden feministischen Sendetags in Erfurt
Vertreter*innen von Colourful Voices – Netzwerk der Geflüchtetenredaktionen (Freiburg/Berlin/Erfurt)