Berlin. Kreuzberg. Wolfgang Müller lädt in ein französisches Restaurant. Mit dabei: Protagonisten von RADIO CORAX, dem F.S.K. aus Hamburg und einige Aufnahmegeräte.
Nico(Corax): Die beiden HamburgerInnen in unserer Gesprächsrunde zum Thema Humor haben mich gefragt, warum wir mit Wolfgang Müller über dieses Thema reden. Du scheinst mir der geeignete Gesprächspartner, weil alles, was ich von dir kenne – Die tödliche Doris zum Beispiel – ein verschmitztes Lächeln trägt. Hast du, habt ihr, den Humor als bewusstes Mittel eingesetzt?
Ist das für euch ein Werkzeug?
Wolfgang Müller Wir haben überlegt, was man machen kann.
Und wenn es lustig war, war es gut. Allerdings war nie die Basis für den Arbeitsprozess, dass es lustig sein sollte. Und wenn Publikum oder Kritiker sagen: Das ist aber eine witzige Idee! – ohne, dass wir das witzig meinten, dann hat mich das gekränkt. Also, ich mach keine Satire und ich mach kein Kabarett. Und trotzdem: Wenn man Wahrnehmungen erforscht, kann es durchaus passieren, dass
etwas Witziges dabei herauskommt, quasi als überraschender Effekt. Und diese Überraschung hat eine Komik, die aus sich selber heraus entsteht. Wenn sich jemand bemüht, originell und witzig zu sein, ist es anstrengend und nervt.
Christian(FSK): Würdest du dann sagen, dass es unmöglich ist, bewusst komisch zu sein?
Müller: Doch. Aber nicht, um unmittelbar witzig zu sein. Du analysierst eine Struktur, guckst, wie die gesellschaftliche Gewichtung ist und wenn man das in einer bestimmten Form gegenüber stellt, gibt es eine Überraschung. Durch diese sieht man die Dinge klarer und deutlicher. Und diese Überraschung ist es, die Lust hervorruft. Das verlange ich eigentlich von guter Kunst: Dass sie den Wahrnehmungsraum wirklich öffnet. Einen Wahrnehmungsraum, den davor keiner gesehen hat.
Im Moment geht es in der Kunst um Effekte – Ging es vielleicht schon immer, aber dennoch sind derzeit die Leute präsent, die alles nach dem Effekt abgrasen. Zum Beispiel Tabubruch: Berlin Biennale.
Der Künstler Artur Žmijewski- immer nur Tabubruch. Also entweder ist es ein ehemaliger KZ-Insasse, dem er dann versucht, eine Tätowierung zu erneuern. dem bietet er dann 50.000 €, ohne die Sache mit dem Geld zu thematisieren. Also angeblich werden alle Grenzen aufgezeigt und alles wird verhandelt – bis auf den ökonomischen Hintergrund: Viel Geld für den Mann, weil er eine kleine Rente kriegt. Aber der alte Mann sagt, er macht das nicht gern und der Künstler sagt „Ich wollte sehen, wie er leidet.” Dann ist das Ganze noch dümmer als ich dachte. Man kann jetzt sagen: Der will das Trauma wiederholen. Aber ich würde sagen: Das ist einfach aggressive Macho-Erlöser-Kunst. Stilistisch ist das einer Grenzüberschreitung in aggressiver Weise am Körper anderer Leute. Ein Gegenbeispiel: Wenn ein 90-Jähriger Holocaust-Überlebender mit seiner Enkelin auf den Gleisen von Auschwitz singt, zeigt das einen großen Humor. Der ist kein Künstler, hatte nur Lust auf diese Aktion zusammen mit seiner Enkelin. Das finde ich wiederum großartig.
In den 60er-Jahren haben das die Wiener Aktionisten hauptsächlich am eigenen Körper gearbeitet und sind dafür in den Knast gekommen. Dafür, dass sie einen Strich durch die Körpermitte gemalt haben.
Noch ein Beispiel: Martin Zet mit seiner Aktion „Deutschland. Schafft es ab!” bei der er Leute auffordert, ihre Sarrazin-Bücher zu Sammelstellen zu bringen. Der hat weder gemerkt, dass das Wort Sammelstelle im Deutschen konnotiert ist mit Judensammelstelle, noch dass Recycling auch mit Bücherverbrennung und -vernichtung assoziiert werden könnte. Und Christoph Tannert sagt: „ Aber das ist doch Zensur!” – Mit Zensur hat das jedoch nichts zu tun. Das Ganze ist doch vor allem deshalb blöd, weil wohl kaum reumütige Sarrazin-Rassisten ihre zerlesenen Bücher dort abgeben. die ganze Idee ist doch dämlich, scheiß blöd oder, wie ich das nenne, unterkomplex. Eigentlich ist es ein schlechter Witz, ein Gag, der nicht funktioniert. Und vor allem ist es schlechte Kunst. Und nach aller Kritik sagt Martin Zet nun: „Jaaa. Hmm. Das soll jetzt nicht recycelt werden, sondern soll eine ergebnisoffene Diskussion sein.”
Das ist ein bisschen wie kurz nach der Wende in der DDR als die verantwortlichen Leute gar nicht mehr hinterher gekommen sind, neue Worte zu finden.
Ralf (Corax): Kannst du dich erinnern, wir haben uns mal über Christoph Schlingensief unterhalten.
Schlingensief bot eine Schieflage an, die durchaus Slapstick-Elemente hat. Im selben Atemzug lebte er drüber weg – eine bewusst pervertierte Art der Kommunikation.
Müller: Also eine Gleichzeitigkeit von zwei eigentlich unvereinbaren Momenten …
Ralf: Naja. Er hat genau das angeboten. Wir könnten uns jetzt total lustig über dieses Moment unterhalten. Machen wir aber nicht, weil er in derselben Sekunde anbietet, dass es gar nicht lustig ist, sondern total übel und grauenhaft. Dass ich diese beiden Empfindungen gleichzeitig habe, ist ja eine bewusste Setzung von perversen Momenten – pervers nicht im Wortsinne. Nicht mehr lustig im klassischen Sinne, sondern eher die Verweigerung des Humors.
Müller: Ich hätte auch nie gedacht, dass ich mal Hörspiele mache und damit Geld verdiene. Das war bei Schlingensief, glaube ich, ähnlich: Da war dann jemand, der gemerkt hat, dass er irre speziell war und hat das dann genutzt.
Bei Schlingensief ist es, glaube ich, ab dem Moment gekippt, als er mit dem Tabubruch so einen Erfolg hatte – weil es hieß in der Kunst darf man doch alles: Ich darf Geld aus dem Fenster werfen. Darf sagen: „Bringt Helmut Kohl um!”. Und als die CDU das Verbot des Stückes forderte, rannte Schlingensief zum Telefon, hat ihn zwei Stunden bequatscht, kam glücklich zurück und sagte: „Der merkt jetzt, dass das Stück nichts gegen ihn ist.” – Da war ich ein bisschen enttäuscht. Ich hätte das nicht gemacht. Und später wollte er sich mit allen versöhnen. Es ist schon eine tragische Sache, wenn man schwer krank ist, aber da würde ich nicht zu Beckmann rennen.
Ralf: Beziehungsweise die Lust an der Inszenierung war ihm sowieso eigen. Also das Moment des Künstlichen: Ich exponiere sozusagen alle Arten der Auseinandersetzung auf dem Podium, denn erst dann kann ich mich damit auseinandersetzen. Ähnlich wie beim Witz: Ich brauche den Witz, um mich mit dem Moment auseinanderzusetzen, so brauchte Schlingensief das Theater.
Müller: Es ist ja auch eine Glückssache: Du musst als Künstler zu einer bestimmten Zeit, bestimmte Möglichkeiten haben. Als ich Kunst studiert habe, 1980, war Westberlin unglaublich frei. Man konnte nackt über die Berliner Oranienstraße rennen. Da hat keiner die Polizei gerufen. Da habe ich Szenen gesehen: Ein dicker alter Transvestit steht neben Bauarbeitern und isst eine Bockwurst. Unglaubliche Szenen, die man heute nicht mehr sieht. Es war liberaler in den 80er Jahren. Aber gleichzeitig war die Kunstszene sehr konservativ. Du musstest wilde Malerei malen, damit du Erfolg hast. Mit interdisziplinärer Kunst hattest du keine Chance.
Ralf: Wann und an welcher Stelle entscheidet sich eigentlich, wie man sich zu einer Form zu verhalten hat? Das ist ja nur sinnvoll, weil eine Darstellungsform sinnvoller erscheint als andere. Günther Uecker nagelt bis an sein Lebensende. Das fand ich schon immer seltsam.
Müller: Ich glaube, das Geschlecht spielt eine große Rolle – auch in der Kunst: Wenn Männer dort immer das Gleiche machen, gelten sie als glaubwürdig oder konsequent. Machen Frauen immer das Gleiche, dann heißt es, sie seien manisch oder kalt. Der Kunstbetrieb zieht außerdem vor, wenn Künstlerinnen persönliche Arbeiten mit deutlich biographischen Bezügen schaffen. Ein Künstler wird dagegen bevorzugt, wenn er Biographisches möglichst weglässt. Das zeigt, wie konventionell und spießig auch die Kunstszene eigentlich ist.
Ralf: Was wiederum mit der – von außen empfundenen – Funktion zu tun hat, dessen, was da passiert.
Christian: Wann kann denn Kunst heute noch subversiv sein und das Stereotyp hintertreiben?
Müller: Subversiv wäre die Kunst, der Humor, wenn er zugleich eine substanzielle Idee in sich birgt. Beuys hat zum Beispiel, kurz nachdem die Berliner Mauer gebaut war, eine Aktion mit folgendem Titel gemacht: Beuys fordert die Erhöhung der Berlin Mauer um 5cm (bessere Proportion!). Das ist subversiver Humor.
Viele Leute, die ich kannte, fand ich ziemlich subversiv. Mich beeindruckte der Punk Speiche aus Ost-Berlin: Er nannte seinen kleinen Hund Margot und brachte ihm viele lustige Kunststücke bei. Andere hätten sich bedroht gefühlt oder diesen Humor auch gar nicht gehabt. Man kann nicht allen Humor für alle machen.
Ralf: Das ist ja offenkundig ein kommunikativer Akt. Also ich richte das ja durchaus an jemanden, die oder der das dann auch annehmen können muss. Und das ist keinesfalls etwas, das von selbst entsteht. Und dann stellt sich die Frage, ob es auch so etwas wie gruppeninternen Humor gibt? Unterscheidet sich der dann von dem einer anderen, größeren Gruppe? – Also wenn jetzt jemand an unseren Tisch kommen würde, eine der beiden Damen vom Nachbartisch zum Beispiel, würden die den teilen können, oder würden wir den Humor – unser „Humorverhalten” verändern? Oder wir würden dabei bleiben. Arroganterweise.
Nico: Da stellt sich doch die Frage nach der Selbstgenügsamkeit. Ist es eine Kommunikation oder ist es etwas, das ich mache, weil es mich vergnügt. Also wenn ich mich selbst belustige, heißt das ja noch lange nicht, dass alle anderen mitmachen müssen, oder gemeint sind.
Ralf: Martin Kippenberger und Co., diese ganzen 68er-Politkünstler, die für sich in Anspruch nehmen, dass es total okay ist, die Frage nach dem PC-Diskurs zu stellen, werfen ja, vielleicht ohne dass sie es wollten, die Frage auf, ob Humor ein Mittel des Freischwimmens ist?
Müller: Kippenberger hat versucht, die beiden Ebenen von politischer Korrektheit und politischer Inkorrektheit zusammenzubringen und eine Arbeit gemacht: „N… haben einen längeren! Stimmt nicht!“ – bestimmte Leute fanden das komisch. Er hat da zwar was festgestellt in den 80er Jahren. Etwas, das die Leute auf die Palme trieb. Dieses seltsame Gut-Mensch-sein-wollen. Er hat dabei allerdings vergessen, dass er ein heterosexueller weißer Mann ist. Ich habe deshalb in meinem neuen Buch über die Westberliner Subkultur eben die Ratten-Jenny, die ihn damals so fürchterlich verprügelt hat, zu Recht, interviewt. In der Kippenberger Biographie kommt die als drogensüchtig, humorlos und brutal vor. Ich kannte die ja aus Punkkneipen und fand sie gar nicht humorlos. Ich weiß nur, dass sie immer aufsprang, wenn jemand aus der damals sich entwickelnden Skinhead-
Ecke kam, und einen Spruch, ÖÖHHH Kanaken! oder so, brachte. Da ist Ratten-Jenny aufgesprungen, wie von der Tarantel gestochen, und hat den Typ verprügelt. Die ist auf die stärksten Typen los. Ich fand die klasse. Die wohnt seit dem Vorfall mit Kippenberger in London. Nachdem Kippenberger von ihr ebenfalls verprügelt wurde, war er schwer verletzt und sein ganzes Gesicht bandagiert. Das hat er dann von einem Maler porträtieren lassen und Dialog mit der Jugend genannt. Das ist schon lustig. Jenny hat ihn ja zweimal verprügelt und konnte sich bei meinem Interview nicht mehr so genau an alles erinnern. Hat wohl die Orte verwechselt. Der Vorfall stellt sich tatsächlich so dar, dass Kippenberger ins Café Central kam und durch den ganzen Laden ihr entgegen schrie „Na du Fotze!“ Ist doch klar, dass sie sich so nicht beleidigen lässt, ’ne Bierflasche in zwei Hälften zerknallt und auf ihn losgeht.
Nico: An der Stelle stellt sich jetzt wieder die Frage nach dem Konsens des Humors. An welcher Stelle kann man was wie humoresk verhandeln? Ich war ja nicht dabei. Bin aber deiner Meinung: Das war nicht humorvoll und Ratten-Jenny ist gut drauf an der Stelle. Er war wohl der Meinung, es wäre etwas witzig an dem, was er sagt.
Müller: Kippenberger muss das so vorgekommen sein, als hätte sie seinen Scherz nicht verstanden.
Ralf: Als ich so 1979/80 das erste Mal in Halle wahrgenommen habe, dass es anders aussieht, dass es sowas wie Punk gibt – beim Pressefest auf der Peißnitz zum Beispiel – hab ich das als völlig humorvolles Moment wahrgenommen. Das es wie so eine Art UFO in der Gesellschaft gelandet ist, und dabei unglaubliche Lust und Vitalität entfaltet hat. Eine Ausstrahlung und Anziehungskraft, die nicht Politagitation meinte, sondern erst mal nur von sich aus wirkte.
Christian: Für mich, der Punk erst später kennengelernt hat, erscheint Punk eher als ein Lifestyle-Element, das mal zum Leben dazugehört oder die Leute beibehalten.
Ralf: Das hat für mich damals auch die Frage aufgeworfen, ob dieser Humor eine Brückenfunktion hin zur Gesellschaft hat. Im Sinne von: Ich bin noch Teil dessen. Ich bewege mich schon in denselben Straßen, wie die anderen Leute, Ich kaufe auch beim Bäcker ein und gehe auch in die Kneipe usw. Ich hab mich von vielem befreit und entsprechend wohl gefühlt, auch weil das Ganze eine Art Wörterbuch- oder Übersetzungsfunktion hatte.
Müller: Natürlich. Du brauchst einen Bezug zur Gesellschaft. Das ist keine Abkehr von der Gesellschaft. Ich hab das damals in Westberlin gemerkt wie feindselig das war.
Christian: In Hamburg an der Reeperbahn gehört das heute zur Touristenperformance. Und wenn es das nicht gäbe, würde die Stadt Leute bezahlen, die sich mit Lederjacke und Irokesen hinsetzen und betteln.
Müller: Heute ist das anders. Ich hab mir 1977 einen Ohrring rein gemacht. Mit Ohrring warst du damals „automatisch” schwul. Heute kannst du 20 Ohrringe tragen. Kein würde deshalb denken, dass du schwul wärst. Damals waren diese Kleidungscodes unglaublich festgelegt. Wenn du grüne Haare hattest, kriegtest du überall Ärger. Im Job zum Beispiel: Keine Bäckerei hätte dich eingestellt, du hättest noch so nett sein können. Du warst per se Außenseiter. Das war eine bewusste Entscheidung
Christian: Was passiert, wenn z. B. das was du machst, mich auf die Palme treibt? Ist das dann subversiver Humor, oder etwas anderes?
Müller: Nee. Das ist eine ausgehandelte Sache. Es gibt ja Leute, die ganz schlimm drauf sind und über Sachen lachen, bei denen wir nur angewidert gucken und das Gesicht verziehen. Ich würde sagen, dass Humor auch etwas über soziale Kontakte und soziale Netzwerke aussagt. Über Humor kannst du auch Leute kennenlernen: Wer mit dir lacht, ist auch sonst auf deiner Wellenlänge. Ich finde gut, wenn der Humor aus einer authentischen Geschichte entsteht.
Ich habe eine Ausstellung gemacht über Valeska Gert, die ja bei uns noch eine stark unterschätzte Künstlerin ist.
Nico: Das ist ein guter Link: Was ich mir von ihr angesehen hab und was ich von ihr weiß, ist, dass man ihr den Humor überhaupt nicht absprechen kann. Im Gegenteil: Vieles davon ist von Humor geprägt. Zum Teil subversiv, spätestens dann, wenn es gesellschaftliche Normen gebrochen hat oder gar völlig außen stand. Aber eben auch nicht per se versucht hat, gesellschaftlich relevant oder interventionistisch zu sein. Da ist dann die Frage: Ist Subversion, die gern im Munde geführt wird und doch hauptsächlich Verhandlungsmasse ist, nur möglich durch Konsens?
Müller: Valeska Gert kommt als Deutsche mit jüdischem Background sehr früh, Anfang der 50er-Jahre, aus der Emigration zurück und eröffnet in Berlin einen Club mit dem Namen „Hexenküche”. Dann engagiert sie den 18-jährigen Klaus Kinski, indem sie ihm sagt „ mach doch mal Rimbaud und Baudelaire in der deutschen Übersetzung. Das kennen die Deutschen nicht richtig.“ Das heißt er beginnt seine Karriere dort. Später sagt er, er hätte dort öfter randaliert. Sie sagt in Interviews: „ Nee, der war immer ganz brav. Drei Schnaps und schon hat er alles gemacht, was ich von ihm wollte.” Ich glaube ihr und Kinski kreierte da wohl seinen Mythos.
Zurück zum subversiven Humor: Sie kommt also zurück und performt in ihrer Hexenküche ein Stück, „Die Kommandeuse”. 1951 als Ilse Koch, die Frau des Lagerkommandanten in Buchenwald Karl Koch, die als besonders sadistisch gilt und zu sechzehn Jahren Haft verurteilt wurde. Valeska Gert macht dabei aber kein Kabarett, sondern eine Analyse dieser Frau. Mit 87 ein Jahr vor ihrem Tod macht sie das Stück noch mal: „Findest du mich schön? – Kannst mit mir zu Bette gehen. Auch das war nur ein kleiner Spaß. Weg mit dir du dummes Aas.” Die Banalität des Bösen. Also Hannah Arendt als Performance. Wahrnehmungsstrukturen. Nicht pauschal „Die ist böse.” Eine Mischung aus „Ich bin doch gar nicht so.” Und „Heut ist nichts mehr, wie es war. Keins krümmt dir ein Haar. Ich stricke, häkle, mache Handarbeiten. Warum mag mich niemand leiden? So trägt die das vor. Das ist doch böse, erst recht 1951.
Christian: Aber hängt das nicht davon ab, dass sie als Verfolgte so etwas machen kann, während mein Opa, der bei SS war, es nicht hätte machen können ohne humorlos zu sein.
Müller: Hätte der das gemacht, wäre er fast schon der ‘Übermensch’ gewesen. Aus dem Bewusstsein seiner Vergangenheit hätte er sich wahrscheinlich nicht getraut, das zu machen.
Während Valeska Geert mit den Westberliner Altnazis nur Ärger hatte. Nach sechs Jahren ist sie frustriert nach Sylt gezogen.
[Das Essen wird serviert. Das Gespräch wird unterbrochen.]
Müller: Beuys hatte Humor. Dem wird der ja immer abgesprochen. Die Leute denken scheinbar entweder man ist als Künstler Schamane und glaubt das, oder man spielt das nur. Was anderes können die sich nicht vorstellen. Beuys bearbeitet selbst seine Biographie künstlerisch: „Geboren aus einer mit Heftpflaster zusammengezogen Wunde.” Er hat seine Vergangenheit nie verschwiegen, nur bearbeitet. Nach der Grenzöffnung 1989 wurde Beuys schlagartig unpopulär, weil die halbe DDR so aussah, wie seine Installationen.
Die waren ja voll von Kriegs- und Nachkriegsästhetik. Der ganze Müll und so. Er ist da auch der einzige bildende Künstler, der mit dieser Ästhetik arbeitet und dabei auch ins mystische abdriftet.
Nico: Trotz alledem bleibt die Frage ist das jetzt Humor? Hat das einen doppelten Boden? Spielt Subtilität eine Rolle? Auch für den Grad der Subversion: Wie offenkundig muss der Humor hervortreten?
Müller: Sätze wie der von Beuys: „Ich denke auch mit dem Knie”, ist nicht ohne weiteres vermittelbar. Aber wenn ich Kunst sehe, die mir zeigt, dass sich jemand Gedanken gemacht hat, schau ich da eher nach Strukturen und Ebenen. Das gibt es eben komische und nicht komische.
Ralf: Komik ist vielleicht ohnehin noch mal was anderes als Humor. Komik entsteht doch zumeist dadurch, dass Leute eine Situation von außen betrachten. Humor braucht wohl eher eine gewisse Selbstsicherheit. Auch wenn die meisten meinen Humor, wäre ein Schutzmechanismus, etwas, wohinter man sich verstecken kann.
Müller: Das hat mit allem zu tun. Geschlecht, Alter etc. Ich bin jetzt 54. Und wenn ich jetzt ein Lied über das Penis-Museum in Reykjavik singe ist das sicher komischer, als wenn ich das mit 25 mache. So habe ich eine Distanz, die Groteske schafft. Ich treffe genauso viele kluge 20-Jährige wie kluge 50-jährige. Ich sehe aber auch Leute, die mit 20 toll drauf sind und mit 30 verblödet sind. Und mit 50 völlig verblödet, oder endlich aufgewacht. Alter und Weisheit ist Unsinn. Du kannst aus deinen Erfahrungen tolle Sachen machen oder eben Bullshit. Mit Alter hat das überhaupt nichts zu tun.
Christian: Bei der Begriffstrennung zwischen Komik und Humor bin ich etwas verunsichert. Mir scheint, dass viel Komik unbewusst entsteht, während die Leute Humor bewusst inszenieren und konstruieren.
Nebenbei: Während der Recherche habe ich festgestellt, dass vor gar nicht allzu langer Zeit eine Statistik erstellt wurde, nach der die Schweizer und die Spanier die lustigsten Europäer seien und die Deutschen […]
Ralf: […]sind die am wenigsten Lustigen…
Christian: Und die Engländer waren nur auf Platz Drei. Es blieb leider völlig unklar, wie das ermessen wurde[…]
Müller: Es gibt den Wellfield-Index der aufzeigt, als wie glücklich sich die Leute selbst empfinden. Und das Einkommen und Lebensstandard im Land. Je ärmer, desto unzufriedener. Wobei es auch da Ausnahmen gibt.
Nico: Aber die Zuschreibung mit dem Humor stimmt ja: Der britische Humor gilt als die Messlatte, dafür, was so geht. Dafür war wahrscheinlich Monty Python zuständig. Während der Deutsche vielleicht noch so einen zackigen Wehrmacht-Humor bieten kann.
Ralf: Wolfgang, du lebst in Berlin und in Reykjavik: Ich war leider noch nie auf Island, habe aber gerade überlegt, was passiert wenn insular etwas entsteht: Die Leute fühlen sich unter sich wohl, es gibt kaum Kontakt von außen, es entstehen eigene Regeln, die von außen betrachtet vielleicht seltsam wirken: Man geht mit anderen Kommunikationsmitteln und anderen Lebewesen um, die man eben Elfen nennt. Man könnte auch anders nennen, aber warum nicht Elfen. Von außen betrachtet wirkt das dann skurril, seltsam, geradezu humorvoll. Da ergibt sich bei mir die Frage, angelehnt an das Konzept von Bruce Nauman des ‘artist as a fountain’ – Der Künstler, der belebend auf sein Umfeld wirkt – aber wegen einer Differenz in Lebensweise und Wahrnehmung als skurril gilt: Entsteht die Komik durch diese Differenz?
Müller: Mein Assistent ist ja Isländer. Der ist knapp über 30, also aus einer jüngeren Generation, der findet es zum Beispiel komisch, dass in den 60er Jahren, geregelt durch einen Regierungsvertrag, sich die schwarzen amerikanischen Soldaten nicht unter das isländische Volk mischen durften. In isländischen Zeitungen stehen eher lokale Dinge und es gab in den 60er Jahren eine Meldung: Ein schwarzer Mann von dem Ort Selfos nach soundso zu Fuß. Die Bauern hörten mit der Heuernte auf, schauten hin, bis er wieder am Horizont verschwand. – Das war kein Witz. Das war eine Nachrichtenmeldung.
Ralf: Das wäre ja ein Indiz dafür, dass Humor eine Differenz, oder positiv-kritische Distanz ausmacht und schafft.
Müller: Überraschung, Verwunderung und Irritation, weil man gar nicht versteht, was daran, dass ein Schwarzer eine Straße entlang geht, eine Meldung in der Zeitung wert ist. Allerdings ist dieses Bild ‘Es taucht einer am Horizont auf, kein Wort wird gewechselt, und die Bauern lassen ihre Heugabel fallen’ ein schönes und groteskes. Mein Assistent sieht als Isländer natürlich noch eine andere Komponente da drin. Isländer sind zwar sehr integrativ, lassen aber andererseits kaum jemanden rein. 1946 bis ’49 als es kriegsbedingt in Deutschland Frauenüberschuss gab, gingen über 250 Frauen nach Island, was bei einer Gesamteinwohnerzahl von 70.000 eine Menge ist. In Island wurden Frauen gesucht, die auf dem Land arbeiten wollten. Und diese 250 Frauen sind von der Hungersnot aus Deutschland nach Island geflohen. Drei von ihnen habe ich durch Zufall kennengelernt: Eine arbeitet am zentralen Busbahnhof in Reykjavik, die zweite ist die Oma von Sugarcubes-Sänger Einar Örn Benediktson, die dritte hat mich im Laden angesprochen: „Ach, sind Sie aus Deutschland? – Ich auch. Ich bin 1947 mit 18 aus Lübeck gekommen.” Jetzt ist sie die Frau des Leuchtturmwärters von Jupavoghur oder so.
Ralf: Wenn wir sechs jetzt versuchen würden, Angela Merkel eine Botschaft zu senden, wäre das doch für die wegen der Differenz per se komisch. …
Müller: Einst saßen Dietrich Kuhlbrodt und Christoph Schlingensief auf dem heißen Stuhl bei RTL. Die haben über Angela Merkel gewettert und als der Schlagabtausch vorbei war, kam sie an und sagte: „Was seid ihr denn für Blasen?” – Dietrich fand das gar nicht komisch. Schlingensief, der große Versöhner, hat sich sofort mit ihr unterhalten. Unabhängig von der Politik, glaube ich, dass Merkel einen viel feineren Humor hat als Schröder etwa.
Ralf: Das glaube ich auch. Die würde so eine Situation möglicherweise skurril finden und sicher auch benennen können, was Sie daran komisch findet. Was ja aus der differenzierten Betrachtung heraus möglich ist
Müller: Na wenn zum Beispiel ein Berliner sagt: „Ich wähle die DKP.” – Das würde die nicht witzig finden, sondern sagen, dass für die der Verteidigungsminister der DDR kandidiert!
Ralf: Also braucht sowohl aus auf der Sender- als auch auf der Empfängerseite Humorbereitschaft.
Müller: Ein Beispiel: Die Kultursenatorin von Berlin, Adrienne Goehler, die war nur kurz im Amt, Neuwahlen und so. Die hatte eine Ausstellung ‘Kleider der Elfen und Zwerge’. Da habe ich bei den Anwohnern in der Monumentenstraße Fragebögen verteilt. ‘Haben Sie schon mal Elfen und Zwerge gesehen?’ – In der Nähe sind ja auch die Gebrüder Grimm beerdigt. Ich habe dann Antworten erhalten, sogar mit Skizzen, die ich dann von einer Schneiderin anfertigen ließ. Eine Elfenjeans mit zwei Meter langen Beinen. Ich habe Adrienne Goehler eingeladen, ob sie da eine Rede hält. Und die kam, mit BWM, Chauffeur und ELFENKOSTÜM. Ihre Berater hatten ihr zwar abgeraten – sie sahen schon die Schlagzeile in der BZ. Damit kann man ja Leute fertigmachen. Aber ich finde toll, dass diese Frau das Selbstbewusstsein hatte, sich da als Witzfigur hinzustellen.
Ralf: Wir haben ja vorhin ganz biologistisch diskutiert: Man braucht Humor, um überhaupt überlebensfähig zu sein. Auch um Territorien wahrzunehmen, die mir sonst versperrt bleiben. Da kommt auch das Lustmoment wieder ins Spiel – Lust auf Dinge, die mir sonst verwehrt bleiben. Sollte die moderne Welt nicht diesen befremdeten Blick fördern? Humor also nicht im Sinne von blöder Fußnote, sondern ich gucke mir die Welt an, finde Dinge seltsam, die mich befremden und dadurch belustigen.
Müller: Ja doch. Mit Befremden – einem befremdeten Blick. Einer der humorlosesten Menschen der letzten Jahre ist doch Sarrazin. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand so Humorlos ist. – Hitler vielleicht noch. – Der setzt Sachen eins zu eins. Da gibt es überhaupt keine Differenz.
Ralf: Hitler als weißer Engel, als einziges Lebewesen, das übrig bleibt. Einer bleibt übrig und die Welt endet. Dann funktioniert – bei Chaplin – Humor als Gegenentwurf.
Müller: Hitler hätte eigentlich merken müssen, wie komisch er wirkt. Charlie Chaplin hat es ja gezeigt, eigentlich nur verdoppelt. Der Film ist ja in den 40ern gedreht worden. Chaplin hätte den Film nach ’45 nicht drehen können.
Nico: Aber 99 % der Deutschen haben doch auch nicht gesehen, wie komisch Hitler wirkt. Der war für die Menschen doch sogar attraktiv.
Müller: Humor gibt es bei solchen Leuten aber nicht, weil sie keine Differenzierung zulassen: Ein Witz über Hitler hat die Todesstrafe zur Folge. Daran sieht aber auch, welche Kraft Humor hat. Und bei Guido Knopp und dem Krempel plötzlich bei Hitlers Vorfahren geforscht wird, ob da ein Verrückter oder Schizophrener dabei war, kann das doch wohl nicht wahr sein! Die Leute suchen zwanghaft nach Lösungen. Oder Gutenberg, ich vergleiche den jetzt nicht mit Hitler, aber das war doch der volle Bluffer! 70% hielten den für eine Lichtgestalt.
Ralf: Aber was ist daran der Witz? Es gab diese hedonistische Internationale, die zu einer ironischen Demo „pro König” aufrief. Da kamen viel mehr als zu einer „Pro Gutenberg” Demonstration Was ist jetzt der Witz an Gutenberg?
Müller: Ich finde, dieser Witz hat sich geklärt über das Abschreiben. 70% pro Gutenberg stammt aus der Bild, wobei Bild-Online zeigt, dass 56% den Rücktritt fordern. Vielleicht schauen ja auch Nicht-Bild-Leser auf deren Webseite.
Nico: Oder man muss unterscheiden zwischen Bild-Lesern mit Onlineanschluss und Bild-Lesern ohne.
Ralf: Wenn ich Nachrichten gucke, bin ich in der Regel nicht überrascht, Nachrichten sind für mich Konsens. Kommt dann aber mal eine Meldung, die mich überrascht, werden Nachrichten für mich komisch. Noch mal zum künstlerischen Potential: Angenommen, es gäbe eine gefährliche Kunst. Gefährlich, weil sie prinzipiell Sachen in Frage stellt. Das Miteinander. P-C sowieso. Haben an der Stelle Kunst, Humor und Satire etwas gemeinsam? Kann Humor ein gesellschaftliches Gefüge gefährden.
Müller: Ich glaube, es gibt ganz humorlose Leute, die sehr liebenswert sind. Die gar nicht verstehen, was jetzt komisch war, aber deshalb nicht dumm sind. Denen fehlt einfach das Sensorium. Das finde ich aber nicht schlimm.
Das hast du gesehen, als die NPD ganz in der Nähe vom Holocaust-Mahnmal ein Foto ihres Vorsitzenden auf dem Motorrad plakatiert, auf dem steht „Gas geben!” Darauf hat die „Titanic”, das Satiremagazin, die beste Antwort gegeben: Hat diese Plakate mit Haiders Portrait und seinem kaputten Auto überklebt. Auch mit der Aufschrift „Gas geben!” – der ist ja mit 170 Sachen aus einer Klagenfurter Schwulenkneipe in den Tod gerast.
Die Rechten haben allerdings mittlerweile sehr viel von Subversion kapiert und einen bestimmten Humor übernommen. Humor kann auch missbraucht werden. Aber vor allem muss man die Bilder lesen können.
Ralf: Weil du gerade die „Titanic” zitiert hast, Wir wollten mit dem Ex-Chef Martin Sonneborn reden. Haben aber gemerkt, dass Satire ja nur auf etwas reagiert, das schon stattfindet. Das fanden wir nicht so spannend.
Müller: Satire ist immer abhängig und braucht sozusagen die groteske Welt, um sich zu artikulieren. Ich jedenfalls könnte kein Satiriker sein. Ich müsste komisch sein? Das fände ich schrecklich.
Ralf: Weil Satire nur eine Reaktion ist, und man selber beim dem Anlass zur Satire nicht dabei ist.
Müller: Oliver Maria Schmidt, der auch mal Chefredakteur der Titanic war, hatte in seiner Wohnung ein schönes, gut ausgeführtes Gemälde hängen. Wir haben dann darüber geredet, warum satirische Gemälde im Kunstbetrieb keinen großen Wert haben, während anderes teuer verkauft wird. Aber das passierte mit allen Sachen. Ich habe um 1980 Super-8-Filme gedreht. Super-8 wurde im Kunstbetrieb nicht ernst genommen, sondern Video, das uns einfach zu teuer war. Unter uns Kunststudenten gab es eine ganze Super-8-Szene. Erst seit dieses Material weg ist, wird richtig auf das Vorhandene geguckt und plötzlich wird es mindestens museal, aber auch materiell wertvoll. Schlechte Kunst – ein farbiges Quadrat auf Leinwand meinetwegen – kann immer noch teuer sein, weil der Kunstmarkt anders strukturiert ist. Weil da ganz viel geblufft wird und unglaublich viel Scheiße teuer verhökert wird. Das funktioniert nicht im Satirebereich, weil man da nicht in dem Maße übertreiben kann.
Ralf: Aber Damian Hurst baut einen Schädel mit Diamanten drauf und verkauft den für eine unglaubliche Summe, was ja ein ironischer Kommentar auf den Kunstmarkt sein kann, oder sogar ist: Schlechte Kunst zum Preis von Abermillionen.
Müller: Aber guck dir doch diese RTL-Sendung mit Reichen an: Wie sehen die denn aus? Die sehen doch total scheiße aus! Was haben die für einen Geschmack? Die rennen von Boutique zu Boutique, kaufen irgendwelchen Fummel. Gott ist das schrecklich! Was für ein Alptraum, mein Leben so zu verschwenden. KDW. Okay, liebe die Lebensmittelabteilung, aber da geht man einmal im Jahr hin, wie in den Zoo und nicht jeden Tag. Das ist doch schnarchlangweilig: irgendwann bist du siebzig, kriegst einen Herzanfall, bist tot und kannst nicht mehr ins KDW gehen.
Nico: Der Tod als Strafe: Das Sterben ist nicht das Problem. Aber dir ist der Weg ins KDW auf ewig versperrt!
Ralf: Der Tod als verpasste Chance des Humors.
Müller: Im Museum für Vorgeschichte in Halle wurde „Das Fürstengrab von Gommern” ausgestellt. Im Gästebuch habe ich einen Eintrag gefunden: „Endlich wir einmal Deutsche Kultur ausgestellt!” – War wahrscheinlich ein verkappter Neonazi. Ein Freund, der Archäologe ist und sich auskennt, erzählte mir dann, dass sämtliche Exponate Importware waren. Aus Griechenland, Rom überall her. Das einzige Deutsche war der Holzsarg, weil das Original mittlerweile verrottet war.
Nico: Den Eintrag hätte man ja kontern können: „Hier irrt der Vorredner.”
Ralf: Genau. Humor findet plötzlich ohne Personen statt, und ist ein interkommunikativer, interpersoneller Raum, der sich zwischen Personen entwickelt, die sich nicht einmal begegnen müssen.
Müller: Nee. Du kannst ganz viel Komik und Humor in der Sprache finden. Nazis haben ja versucht, die Deutsche Sprache zu germanisieren: ‘Nase’ sollte, weil es aus dem Lateinischen kommt, ‘Gesichtserker” heißen. Erst wenn die Kunst Hierarchien berücksichtigt und bricht, wird sie komplett und interessant. Ming Wong, der wohnt hier um die Ecke, ist stammt aus China, kommt aus dem postkolonialen Stadtstaat Singapur. Der ist riesiger Fassbinderfan. Für den ist Fassbinder der Inbegriff der deutschen Kultur.
Ralf: Interessant. Als ich in Kasan, in Tatarstan war, habe ich die Leute vorher gefragt, was ich denn mitbringen kann. Und die Antwort war: „Wäre schön, wenn du uns Fassbinder-Filme mitbringen kannst.”
Müller: Fassbinder hat sehr viel Humor. Auch wenn das manchmal nicht so wirkt und man völlig fertig aus dem Kino kommt. Ming Wong hat folgendes gemacht: Aus dem ‘Lebendrama’ „Die bitteren Tränen der Petra von Kant”. Die Figur Petra von Kant ist eine erfolgreiche Modeschöpferin, hat ein Kind. Verliebt sich aber dann in eines ihrer Models. Das Model nutzt sie allerdings nur aus, um selbst Karriere zu machen. Als dieses Model die Petra von Kant dann doch verlässt, bricht die in der Wohnung ihrer Mutter zusammen und fängt an, die Mutter wüst zu beschimpfen: „Was hast du schon gemacht in deinem Leben? Nichts. hast dich von Vater aushalten lassen und heute von mir. Hast du schon mal einen Finger krumm gemacht?” Dann beschimpft sie ihr Kind als Scheusal. Die Mutter fragt: „Was, du liebst eine Frau?” „Diese Frau ist Zehn mal mehr wert als ihr am kleinen Finger!” – Plötzlich klingelt das Telefon. Petra rennt hin, nimmt ab und fragt „Karin, bist du’s?” und dann „NEIN. hier ist nicht von Kant! und legt wieder auf. Fassbinder zeigt Liebe und Hass gleichzeitig. Dann kommt das Selbstmitleid: „Ich bin so im Arsch!” – und Ming Wong hat diese fünf Minuten Film genommen, ohne ein Wort Deutsch zu können, und imitiert jede kleine Geste. – Ist ja auch so ein rassistisches Klischee über Asiaten, dass die immer alles imitieren, dabei haben wir das Feuerwerk von denen geklaut. Es klauen eh alle von allen. – „Ich bin so im Arsch!” alles untertitelt, damit man es auch versteht. und das Video heißt „Lerne Deutsch mit Petra von Kant”. Was für ein wunderbarer Kommentar zu dem ganzen Integrationsgeblubber. Und deshalb gute Kunst. Wenn man das sieht, hat man auch nicht den Eindruck, dass er sich über Frauen, die Deutschen, Fassbinder sich selbst lustig macht. Der macht sich über niemanden lustig. Und doofe Leute sagen dann: „Aber das ist doch Travestie.” – Eine von der Taz etwa.
Christian: Von vielen Leuten wird immer wieder gefordert, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Gibt es einen Unterschied zwischen Selbstironie – als Fähigkeit, sich über sich selbst lustig zu machen und ironischen Kommentaren auf gesellschaftliche Zusammenhänge?
Müller: Die Frage ist, wo man steht. Ob man über andere Leute Witze macht, oder über sich selbst. Das wird oft verwechselt – Wenn man von sich ausgeht, denken die Leute automatisch, man redet auch von sich. Vielleicht, weil die meisten sich über Abgrenzung definieren und nicht wie Valeska Gert zwar von sich ausgehen, aber sich für die Kunst funktionalisieren. Sich selbst zum Material machen, ohne sich dabei aus den Augen zu verlieren.
Übrigens: Anfang der 80er hat Beuys Andy Warhol gefragt, ob er Werbung für die Grünen machen will. Und die Grünen haben abgelehnt. Heute würden die sofort annehmen, die würden sogar den elektrischen Stuhl annehmen, weil die gar nicht mehr richtig hingucken: Die haben Plakate mit Renate Künast und einigen Kindern – „Renate arbeitet” und sind zurückgefallen in die 50er-Jahre. Eine Imagekampagne nach dem Motto ”Mutti kümmert sich” – Mein Gott ist das spießig. Ich als Künstler muss ja sagen, dass die echt ein Design-Problem haben…
Nico: schöne Reduzierung.
Müller: In den 80ern haben viele Punks im Westen grün gewählt, aber immer auch gesagt, dass sie deren Ästhetik Kacke finden: Das Häkeln und die Typen mit den Fusselbärten. Das sollte halt natürlich sein. Und Punks empfanden das als Hippiekitsch, haben sich ganz artifiziell rasiert und trugen Plastiksachen um zu zeigen, dass sie die Realität wahrnehmen.
Die Kreuzspinne vögelt mit ihrem Gatten und frisst ihn anschließend auf – soll das natürlich sein? Natur ist ja nicht per se schön.
Nico: Das ist ja auch meine Idee des Punk: Die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, auch alles andere wegzulachen und dabei nicht zwangsläufig gefallen zu wollen.
Müller: Heute funktioniert Punk ja auch anders: Punks sehen vielleicht aus wie du, während der letzte Spießer mit einem Irokesen rumläuft. Die hauptsächliche Qualität des Punk ist immer die Subversion. Typen, die in der DDR ihren Hund ‘Margot’ nennen, oder im Westen in voller Montur Wahlzettel für die CDU verteilen und dabei für CDU-Wähler so scheiße aussehen, dass mancher dachte, „Die wähle ich jetzt nicht mehr.”, solche Typen kriegen kein Denkmal. Wolf Biermann kriegt ein Denkmal. Der immer in der Nomenklatura mitgemacht.
Ralf: Humor ist also nicht Denkmalsschutz?
Müller: Genau. Humor zerstört jedes Denkmal.
Nico: Ein schönes Schlusswort