Vor beinahe 40 Jahren setzten Oskar Negt und Alexander Kluge – in ihrem Werk „Öffentlichkeit und Erfahrung“ – große Hoffnung in die Existenz „freier Radios“. Mit Hilfe dieser Radios sollten „neue lebendige Verständigungsmöglichkeiten“ geschaffen werden, die den „stummen Zwang der Verhältnisse“ durchbrechen und damit die „begrifflichen wie sprachlichen Ausdrucksmittel des Protestes“ erweitern.
Und in der Tat: Es entstanden Piratensender, die verbotenerweise Frequenzen besetzten. Radios, deren Credo eine Gegenöffentlichkeit war, direkte Kommunikation über bislang Ungesagtes – das Ganze möglichst auch in neuer Form. Als legitime Erben dieser Piratensender haben derzeit immerhin 30 „Freie Radios“ in Deutschland eine legale Sendepraxis.
Doch seit 17.April senden drei freie Radios weniger auf UKW: Radio Blau (Leipzig), Radio T (Chemnitz) und Coloradio (Dresden). Wer nach den Gründen dieser Abschaltung sucht, der muss in eine schwer durchschaubare Thematik, die sich sächsische Medienpolitik nennt, eintauchen: Dazu gehört, dass die drei freien sächsischen Radios, gesetzlich festgeschrieben, keine 24 Stunden täglich senden dürfen, sondern sich die Frequenzen mit einem kommerziellen Sender teilen: „Apollo-Radio“.
In der vergangenen Woche kündigte „Apollo Radio“ an, die Ausstrahlung der drei freien Radios zu verhindern. Und in der Tat: Die Sendenetzbetreiberin Media Broadcast gab dem Abschaltbegehren von Apollo Radio nach. Die basisdemokratisch organisierten Radios sind de facto abgeschaltet, statt Sendungen wie Radio Island, das Radioprojekt des soziokulturellen Zentrums „Conne Island“, ist nun auf den Frequenzen vor allem eines zu hören: Rauschen.
Doch wie kann es überhaupt dazu kommen, dass ein Radiosender gleich drei andere abschalten lässt? Der „Klassik- und Jazzsender“ Apollo-Radio ist einst auf Druck der sächsischen Landesmedienanstalt (SLM) gegründet worden, um eine erfolgreiche Bewerbung anderer kommerzieller Radios, die ebenfalls um Werbekunden buhlen, in Sachsen zu verhindern: Das Hamburger „Klassik Radio“ hatte sich Hoffnungen gemacht auch in Sachsen Frequenzen zu bekommen. Doch vergebens. Seitdem sendet Apollo, ohne kommerziell erfolgreich zu sein, finanziert von allen sächsischen Privatfunkgesellschaften. In den Medienwissenschaften nennt man das „Frequenzverstopfung“. Es geht um die Pflege des heimischen Medienstandortes, der gute, neue Arbeitsplätze garantiert.
In der sächsischen Rundfunkpraxis sah das dann so aus, dass zwei Drittel der Woche Apollo sendet und die verbleibenden 49 Stunden den freien Radios gehörten. Die Kosten allerdings trug allein Apollo – so will es die Vorgabe der SLM. Genau das wollte Apollo nun vermeiden: Der Sender will Kosten reduzieren und den freien Radios die (werberelevante) Sendezeit nehmen.
„Niemand kann Apollo dazu verdammen freies Radio zu bezahlen“, ließ Martin Deitenbeck, Geschäftsführer der SLM, im Gespräch mit „radio corax“(Freies Radio in Halle) verlauten. Die Medienanstalt, die den Deal einst eingefädelt hatte, fühlt sich plötzlich nicht mehr zuständig. Im Vergleich zu anderen Medienanstalten ist die Unterstützung in Sachsen für die Freien Radios sehr gering: Der Betrag reicht nicht aus, um die
entstehenden Kosten zu decken. Diese werden auf etwa 40.000 Euro für alle drei Sender pro Jahr beziffert (zum Vergleich: Die Medienanstalt finanziert jährlich sogenannte „Ausbildungs und Erprobungskanäle“ mit 1,6 Millionen Euro).
Selbst können die freien Radios das nötige Geld qua Selbst – und Fremddefintion als „nichtkommerzielles Medium“ nicht – etwa durch Werbung im Programm – zusammenbringen. Und so verwundert es wenig, dass eben jene Medienanstalt in den letzten Monaten Adressat von Protestaktionen wurde. „Uns erreichen jede Menge Protestbriefe. Auch von Institutionen, die zum Ausdruck bringen, dass die freien Radios wichtig sind.
Ich würde mal fragen, ob sich das nicht in einer geldwerten Unterstützung niederschlägt“, so Deitenbeck. Als absurd bezeichnet Andreas March von Radio Blau diesen Vorschlag: „Zu unseren Unterstützern gehört die soziokulturelle Szene in Leipzig, uns unterstützen Künstler, Labelbetreiber und migrantische Gruppen. Denen soll, um das Fortbestehen der Freien Radios zu sichern, nun noch mehr Geld aus der Tasche gezogen werden“. March fehlt es an einem „Bekenntnis für freie Radios in Sachsen“ von Seiten der Medienanstalt. „Das Geld ist da, nur der Wille fehlt“. Deitenbeck betont dagegen, dass „der Medienanstalt die Hände gebunden sind und diese nur finanziell unterstützen kann, wenn die politischen Mehrheiten das so wollen“.
Damit schiebt Deitenbeck die Verantwortung auf den sächsischen Landtag ab. Dort wurde auch tatsächlich debattiert: „Die freien Radios in Sachsen bräuchten eine gesicherte Finanzierung“, hieß es bereits im Dezember in Dresden von Seiten der Grünen. Für Dr. Karl-Heinz Gerstenberg (parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im sächsischen Landtag) wäre das Aus der freien Radios ein Verlust für die sächsische Medienlandschaft, da die drei Sender einen „unverzichtbarer Beitrag zur demokratischen Meinungsbildung liefern“.
Ebenfalls der Meinung, dass politischer Handlungsbedarf bestehe, sind die Fraktionen der SPD und der „Linken“. Die schwarzgelbe Regierung ließ im Landtag dagegen kaum Raum für den Erhalt der freien Radios und schloss eine Gesetzesänderung aus. Die sächsische CDU lehnt die Finanzierung ab: „Eine Finanzierung über Gebührenmittel der Bürgerinnen und Bürger kommt nicht in Frage. […] Daraus würden nicht absehbare Kosten entstehen.“ Eine „Kostenlawine“, die 1 Cent pro Gebührenzahler beträgt, wie Holger Mann von der SPD sarkastisch vorrechnet, „eine
Summe, die wir den sächsischen Steuerzahler wirklich nicht zumuten können“.
Keinen Hehl macht der medienpolitischen Sprecher der CDU, Sebastian Gemkow, auch daraus, die Freien Radios sowieso lieber ins Internet abschieben zu wollen: „Prinzipiell bliebe die Arbeit der Radiomacher aber ohnehin uneingeschränkt möglich, wenn sie, wie dies bereits auch jetzt schon parallel der Fall ist, das Programm per Live-Stream im Internet verbreiten. Durch die Verbreitung über Internet würden erheblich weniger
Kosten entstehen und eine überflüssige teure Finanzierung durch Gelder der Bürgerinnen und Bürger vermieden.“
Aufgrund der CDU/FDP Mehrheit im Landtag ist es also unwahrscheinlich, dass die jährlichen Sendekosten aus GEZ-Gebühren, wie es in anderen Bundesländern üblich ist, bezahlt werden. Eine öffentliche Anhörung findet am 3. Mai in Dresden statt.
Da sich weder die sächsische Medienanstalt noch der Landtag für den Erhalt der Radios ausgesprochen, sprangen die Stadträte (allerdings auch nur in Leipzig und Dresden) in die Bresche: So hatte etwa die Stadtratsversammlung der Stadt Leipzig einen einmaligen institutionellen Zuschuss von 20.000 € für 2010 beschlossen. Genau dieses Geld beanstandet Apollo Radio nun für sich. Trotz der inzwischen sichergestellten Finanzierung der freien Radios hat sich Apollo nun zu einem konfrontativen Vorgehen entschlossen und die Abschaltung durchgesetzt. Trotz der schriftlich Zusicherung, dass die ausstehenden Rechnungen beglichen werden, sobald Apollo Radio den Zahlungsgrund nachweist.
Für Andreas March ein Unding: „Die Verhinderung der UKW-Ausstrahlung von Radio Blau beschädigt ein anerkanntes Jugend- und Kulturprojekt in Leipzig, dass über 15 Jahre On Air für Programm- und Meinungsvielfalt in Sachsen gesorgt hat. Die nichtkommerziellen Lokalradios transportieren lokale Kultur, nischenhafte Subkultur und Diskussionen, wie sie im öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk oft keine Chance haben und leisten einen medienpädagogischen Beitrag“. Dazu kommt, dass Apollo Radio mit der Abschaltung nichts gewonnen hat, denn die Kosten verringern sich nicht. Apollo bezahlt nun für Rauschen.