Seit letzter Woche ist klar, dass die ungarische Regierung versucht auch über große Medien und NGOs in Ungarn ihren Einfluss massiv auszuweiten. Mit einem "Transparenz Gesetz" ermöglicht sich die sogenannte "Souveränitätsbehörde" den autoritären Eingriff in alle Organisationen, welche ausländische Fördermittel bekommen - egal ob von Einzelpersonen gespendet oder über EU-Projekte finanziert. In Zuge dessen haben nun auch die größeren Medien gemerkt, dass ihre Pressefreiheit endgültig abgeschafft werden sollen - doch was aktuell passiert ist nur die nächste Eskalation einer nun 15 Jahre andauernden Strategie. Eine Strategie, welche mit der Ausschaltung der florierenden Community Radio began. Radio Corax sprach mit zwei Radioaktivisten von Civil Radio und Radio X in Budapest, um auf Spurensuche zu gehen, die Strategie der rechten Regierung nachzuvollziehen und herauszufinden, wie sie mit der restriktiven Medienpolitik in Ungarn umgehen.
Transkript:
Ákos Cserháti: "Der Raum für die freien Medien schrumpft, er wird von Jahr zu Jahr enger und das Problem ist, dass die Leute, die Informationen darüber haben, was in Ungarn oder in Europa passiert, die bewusste Konsumenten sind, also die Leute, die sorgfältig lesen, lesen eine Menge Dinge, aber stellen Sie sich vor, ich denke, es ist in Deutschland genauso, dass die Mehrheit der Leute einfach das Radio oder den Fernseher einschalten und die Nachrichten sehen, und wenn sie nicht Und wenn sie die Informationen nicht verfolgen und nicht bewusst die Medien konsumieren, dann bekommen die Leute im staatlichen Fernsehen und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Nachrichten, die von der Regierung kommen, und stark kontrollierte Informationen, und trotzdem haben die Menschen ein sehr starkes Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Medien, so dass sie sagen, wenn es im staatlichen Fernsehen in den Nachrichten war, dann ist es wahr.
Was Ákos Cserháti, der Geschäftsführer von Civil Radio in Budapest, hier erzählt, hat sich unter Journalist*innen zu einer Art Allgemeinplatz entwickelt: In Ungarn gäbe es keine Pressefreiheit mehr. Offensichtlich stimmt das nicht ganz, denn es gibt eine aktive Presse, und auch kritische Medien haben mit investigativen Geschichten, welche die oligarchischen Wirtschaftspraktiken der regierenden Fidesz-Partei unter Victor Orbán kritisieren, ein Millionenpublikum in Ungarn erreicht. Bislang gibt es noch Freiräume für eine freie Presse, wie Daniel Kemeny, ehrenamtlich aktiv bei Radio X, bestätigt.
Daniel Kemeny: "Es gibt einige Räume, in denen wir sagen können, was wir wollen, oder in denen wir völlig unabhängig sind."
Doch es ist längst nur noch eine Frage der Zeit, bis sich das ändert, und obwohl es selten vorkommt, dass Medienorganisationen aus Protest auf die Straße gehen, haben die fünf größten Medienunternehmen Ungarns am 15. März genau das getan - aus Protest gegen einen neuen Gesetzesentwurf, der derzeit im Parlament diskutiert wird. Nach Angaben der Regierung soll es sich um ein neues Transparenzgesetz handeln, nach dem Vorbild der russischen Gesetzgebung über ausländische Agenten. Es würde der Regierung die Befugnis geben, Computer und Dokumente zu inspizieren sowie die Räumlichkeiten von Organisationen zu durchsuchen, die in irgendeiner Form Finanzmittel aus dem Ausland erhalten, einschließlich EU-Mitteln, und ihnen die Annahme von Spenden ungarischer Bürger*innen verbietet, wenn sie den ungarischen Staat negativ beeinflussen oder die christliche Kultur Ungarns in Frage stellen, oder gar die offizielle Haltung der Regierung dass es nur zwei biologische Geschlechter gibt kritisieren, was nicht dem wissenschaftlichen Konsens entspricht,.
Es handelt sich um ein Gesetz, das die Regierung in die Lage versetzen soll, die freie Meinungsäußerung zu kriminalisieren und ihr starke Methoden an die Hand zu geben, um Medien einzuschränken, die kritische Berichte über die Politik veröffentlicht haben - ein so eklatanter Angriff auf die Pressefreiheit, dass die Europäische Kommission am Samstag sogar öffentlich forderte, das der Gesetzesentwurf zurückgezogen werden soll. Dass die Medien Zielscheibe der autoritären Regierungspolitik sind, überrascht Ákos Cserháti nicht, der in der Regierungspolitik der letzten 15 Jahre den Versuch sieht, den Gedankenaustausch zwischen den Menschen immer drastischer zu beschneiden.
Ákos Cserháti: "Ich denke, das Interesse war klar, dass es besser ist, wenn die Leute keinen Zugang zu freien Medien und zur freien Medienwelt haben und das passiert jetzt auch mit den Gemeinschaftsplätzen, wo sich die Leute treffen und zwischen zwei Bieren ihre Lebenserfahrungen austauschen und jetzt werden diese Gemeinschaftsplätze auch von der Regierung bedroht, weil es besser ist, wenn die Leute sich nicht treffen und ihre Lebensgeschichten nicht miteinander teilen.
Das war früher ganz anders. Ende der 90er Jahre galt Ungarn als das Land mit der größten und besten Community-Radio-Szene in Europa mit rund 90 Community-Radiosendern in einem Land mit 9 einhalb Millionen Einwohner*innen.
Ákos Cserháti: "Damals hat die Regierung diese Gemeinschaftsinitiativen wirklich unterstützt, weil sie erkannt hat, dass es wichtig ist, die Medienkompetenz zu fördern und die Menschen in den öffentlichen Raum zu bringen, also hat sie gespendet und diesem Bereich Geld gegeben und sie hat Frequenzen zur Verfügung gestellt, so dass wir wirklich stolz auf unser florierendes Gemeinschaftsradiosystem waren.
Dass die Pressefreiheit heute so stark eingeschränkt ist, dass es derzeit so aussieht, als würde die Regierung nicht nur die Community-Radios zum Schweigen bringen, sondern auch die volle Kontrolle über die größten Medien des Landes übernehmen, ist das Ergebnis einer sorgfältig ausgeführten Strategie, bei der die Community-Radios die ersten Medien waren, die die Veränderungen zu spüren bekamen, die die Fidesz-Partei und Victor Orban nach ihrer Machtübernahme im Jahr 2010 umzusetzen begannen.
Ákos Cserháti: "Jetzt haben wir nur noch zwei Community-Radios, die noch Frequenzen haben, das ist ein großer Unterschied zwischen 90 und 2, man kann den Unterschied wirklich sehen."
Das bedeutet, dass heute in ländlichen Gebieten das einzige verbliebene Lokalradio von der Regierung organisiert wird. Die dort gesendeten Nachrichten sind im Wesentlichen Staatspropaganda. Die Methode, dies zu erreichen, war recht subtil, denn die Pressefreiheit wurde im Mediengesetz immer als wichtiges Recht beibehalten. Mit der Verabschiedung eines neuen Mediengesetzes wurde jedoch eine ganze Reihe von Vorschriften hinzugefügt, die es den Community-Radios schwer machen sollten. Vorschriften, die bei Nichteinhaltung dazu führen würden, dass ihnen die Lizenz für die Ausstrahlung auf ihrer Radiofrequenz entzogen wird. Eine dieser Vorschriften war die Einführung von Quoten für ungarische Musik, die vorschrieb, dass die Radiosender Listen mit den gespielten Titeln an die Medienbehörde übermitteln mussten. Offensichtlich konnten kleine ehrenamtliche Projekte mit dem Arbeitsaufwand, der zur Erfüllung dieser Vorschrift erforderlich war, nicht mithalten und verloren daher ihre Sendefrequenz.
Ákos Cserháti: "Ein sehr gutes Beispiel sind die Universitätsradios. Einer der Punkte oder eine der Anforderungen des neuen Mediengesetzes ist, dass die Radios mindestens einen neuen Inhalt pro Tag produzieren müssen, und im Fall der Universitätsradios gibt es eine Sommerpause, die sie nicht einhalten konnten, und sie versuchten zu argumentieren, dass wir im Sommer vielleicht nicht eine Stunde lang kostenlosen, neuen Inhalt produzieren können, aber wir können es nicht ständig tun, und die Medienbehörde sagte, dass Sie jetzt Ihre Lizenz nicht mehr haben können, weil Sie nicht so viel Inhalt produzieren können.
Viel drastischer war jedoch die Streichung sämtlicher Mittel für Bürgerradios, die zuvor von der Medienbehörde bereitgestellt worden waren. Kleinere Radios konnten nicht schnell genug andere Finanzierungsquellen finden und verschwanden, größere Radios sparten Kosten ein und bemühten sich um Gelder aus anderen Quellen, einschließlich EU-Projektfonds und von internationalen NGOs. Gleichzeitig wurden die Antragsgebühren für die Frequenzlizenzen drastisch auf 10 000 € erhöht. Und selbst wenn der Antrag abgelehnt wurde, erhielt das antragstellende Radio nur die Hälfte des Geldes zurück - kein Wunder, dass viele Sender beschlossen, unter diesen Bedingungen keinen Antrag auf eine Lizenz zu riskieren. Zumal die Entscheidung, wer eine Lizenz erhält, offensichtlich nicht fair oder nach Leistung, sondern nach Loyalität gegenüber der Regierung getroffen wurde. Eine Situation, die es unmöglich macht, eine Lizenz zu bekommen, so der ehrenamtlich bei Radio X in Budapest aktive Daniel Kemeny:
Daniel Kemeny: "Es gibt so viele andere Konkurrenten, die der ungarischen Regierung sehr nahe stehen, die plötzlich oder eigentlich immer diese Art von Anträgen gewinnen, so dass es, sagen wir mal, fast unmöglich ist, im Jahr 2025 ein Bürgerradio auf einer Frequenz in Budapest zu betreiben".
Die rechtlichen Schwierigkeiten sind beispielhaft für das, was in anderen europäischen Ländern auf uns zukommt, in denen rechtsradikale Parteien dem von der Regierung von Victor Orban in Ungarn ausgearbeiteten Spielbuch folgen. Doch heute gibt es auch in Ungarn noch mehrere Community Radios, die als Internetradios arbeiten, und zwei haben noch eine richtige UKW-Frequenz, um in Budapest zu senden. Entscheidend für ihr Überleben, so Ákos Cserháti (Akosch Tscherhati), war das Engagement der Menschen, die am Radio beteiligt waren, und ihrer Hörer*innen.
Ákos Cserháti: "Ich erinnere mich, als wir unsere Frequenz verloren haben und ich dachte, das sei das Ende des Radios, denn wenn man keine Frequenz hat, dann hat man kein Radio mehr, aber die Leute kamen ins Studio und sagten, dass es den Freiwilligen egal ist, ob wir keine Frequenz haben, sie haben ein Zeitfenster und es gibt den Internet-Stream und sie würden gerne ihre Sendungen machen und weitermachen und ich glaube, das hat uns sehr geholfen, dass wir viel Solidarität von anderen Bürgergesellschaften aus dem Ausland bekommen haben.
Doch wie Daniel und Akosch einräumen, gab es keine wirklichen Siege gegen die Regierung. Keine der Verordnungen wurde aufgehoben, und die Medienbehörde weigert sich, über irgendeinen Teil des immer restriktiver werdenden Rahmens zu verhandeln. Das einzig Positive, was sie über den Rechtsweg sagen können, ist, dass der Europäische Gerichtshof die Entscheidung, Club Radio die Frequenzlizenz zu entziehen, erst im vergangenen April für nichtig erklärt hat, was Club Radio für die nahe Zukunft davor bewahrt hat, auch seine UKW-Frequenz zu verlieren. Auch wenn dies bei weitem nicht ausreicht, bietet die europäische Ebene hier zumindest einen gewissen Schutz - und die klare Haltung der Europäischen Kommission zum neuen so genannten Transparenzgesetz, das nun auch große Medienunternehmen ins Visier nimmt, ist ein vielversprechendes Zeichen. In den letzten Monaten hat sich laut Daniel Keremy auch in der europäischen Politik ein Wandel hin zu mehr Unterstützung für Community-Radios in Ungarn vollzogen.
Daniel Kemeny: "Ich glaube, die Europäische Union hat gerade begonnen zu erkennen, wie wichtig die Community-Radiosysteme in Ungarn sind, nicht nur, weil sie ein Radio machen, sondern weil sie tatsächlich Demokratie machen, weil sie einfach versuchen, dass die Leute miteinander reden, über lokale Themen reden, über Probleme reden, Musik senden, die man in den kommerziellen Radios nicht hören kann und so weiter, das sind wirklich wichtige Punkte und ich glaube, die Europäische Union hat angefangen zu erkennen, dass wir ihnen noch ein bisschen helfen müssen.
Wie das derzeitige Kräftemessen zwischen der Regierung und der Europäischen Union um die letzten Reste der Pressefreiheit ausgehen wird, ist sehr unklar, ebenso wie es unklar ist, wie sehr sich die Proteste in Ungarn in den kommenden Tagen ausweiten werden. Eine ermutigende Tatsache ist, dass Victor Orban und seine Partei, wenn jetzt Wahlen abgehalten würden, gute Chancen hätten, ihre zwei-drittel Mehrheit an die Opposition zu verlieren. Aber selbst wenn es eine demokratische Wende in Ungarn geben sollte, wird es Jahre dauern, die Veränderungen der letzten 15 Jahre wieder rückgängig zu machen, denn die aktuelle Debatte um das Transparenzgesetz ist nur die Spitze des Eisbergs, ein kleiner Schritt auf einem langen Weg zur Diktatur, der mit einem großen Fehler begann, den Ákos Cserháti (Akosch Tscherhati) auf die einfache Tatsache herunterbricht, dass eine Gesellschaft niemals einer politischen Partei eine Zweidrittelmehrheit geben sollte.
Ákos Cserháti: "Ich glaube nicht, dass das in Österreich oder in Deutschland passieren würde, aber das war der größte Fehler, den wir gemacht haben, dass wir so viel Macht auf einmal an eine Partei gegeben haben und diese Partei hat alles verändert und von dem Moment an kann keine andere Macht so viel Macht bekommen und keine Partei und jetzt sehen wir, dass der einzige Weg, das System zu ändern, ist, wieder eine riesige Macht in eine Hand zu geben und dann wären wir vielleicht in der gleichen Situation, dass es einen anderen König geben wird, aber er wird wieder ein König sein.
Einer anderen Partei die gleichen Befugnisse zu geben, in der Hoffnung, dass sie diese nicht missbrauchen wird, birgt enorme Risiken - so viel ist klar. Aber es gibt auch eine Alternative, die Daniel Keremy befürwortet: den Aufbau widerstandsfähiger Gemeinschaften auf lokaler Ebene, die eine autoritäre Politik auf lokaler Ebene ablehnen. Ein solcher Aufbau von Gemeinschaften sollte überall dort Priorität haben, wo die autoritäre Denkweise an Boden gewinnt.
Daniel Kemeny: "Ich denke, es ist wirklich wichtig, dass Ihre Gemeinschaft versteht, dass Ihr Radio wirklich wichtig ist. Denn wenn die lokale Gemeinschaft ihre Stimme erhebt, wenn man Drohungen oder so etwas bekommt, und wenn man mit ihnen kommuniziert, dass wir Drohungen von der Stadtverwaltung, von der Regierung oder so etwas bekommen haben, und wenn die Leute einfach ihre Stimme erheben und sagen, dass dieses Radio wichtig für uns ist und sie nicht bedroht werden oder so etwas. Es ist tatsächlich irgendwie wichtig für die Politiker, also wenn die Leute einfach sagen, okay, tut das nicht, schickt keine Drohungen an unser Radio, dann ist das wichtig.
Unsere Arbeit ist nur dank eurer Unterstützung möglich. Wir freuen uns immer über Spenden oder Fördermitgliedschaften. Noch besser ist es natürlich, wenn ihr Lust habt selber Radio zu gestalten und freies Radio nicht nur hört und unterstützt, sondern auch macht! Gerne könnte ihr uns jederzeit Feedback geben.